253. Kiezspaziergang: vom Lotte-Lenya-Bogen bis Gedok Suarezstraße

253. Kiezspaziergang - Heike Schmitt Schmelz

Herzlich willkommen zum 253. Kiezspaziergang. Mein Name ist Heike Schmitt-Schmelz, ich bin Bezirksstadträtin für Schule, Sport, Weiterbildung und Kultur.

Traditionell steht der Märzspaziergang unter dem Motto „Frauen“.

Auch wenn der 8. März seit 2019 ein berlinweiter Feiertag geworden ist, bleibt die tatsächliche Gleichberechtigung von Frauen in vielen gesellschaftlichen Bereichen noch eine große Herausforderung. Die Benachteiligung von Frauen ist noch lange nicht überwunden. Es gibt noch viel zu tun! Dazu zählt insbesondere die gleichwertige Entlohnung von Frauen und Männern. Gemeinsam mit unserer Gleichstellungsbeauftragten haben ich und andere Bezirksamtsmitglieder auch in diesem Jahr am 6. März wieder die Equal-Pay-Day-Fahne vor dem Rathaus Charlottenburg gehisst, um dafür ein öffentlich sichtbares Zeichen zu setzen.

Starten wir nun in den heutigen Kiezspaziergang, bei dem wir viele Frauen kennenlernen werden, die in diesem Bezirk ihre Spuren hinterlassen haben.

253. Kiezspaziergang - Lotte-Bogen

Station 1: Lotte-Lenya-Bogen

Der Lotte-Lenya-Bogen, an dem wir hier stehen, wurde am 7. Juli 1999 nach Lotte Lenya benannt. Sie wurde am 18. Oktober 1898 in Wien geboren und wuchs in einem Wiener Arbeiterviertel in ärmlichen Verhältnissen auf. Die Mutter war Waschfrau, der alkoholkranke Vater Kutscher. 1913 kam sie als 15-Jährige nach Zürich zu einer Tante. Nach der Schule wurde sie erst Balletttänzerin, dann Schauspielerin. Bis 1921 lebte sie in Zürich, wo sie gemeinsam mit der fast gleichaltrigen Elisabeth Bergner auf der Bühne stand, eine Garderobe teilte und anschließend nach Berlin ging. Ebenfalls 1921 nahm sie ihren Künstlernamen an.
Allerdings ließen die erhofften Erfolge auf sich warten. 1924 lernte sie Kurt Weill kennen, mit dem sie mit Unterbrechungen bis zu seinem Tod zusammen war. 1927 trat sie als Sängerin in der Uraufführung des ersten gemeinsamen Stücks von Kurt Weill und Bertolt Brecht, des Singspiels Mahagonny, in Baden-Baden auf. Bei der Uraufführung der Dreigroschenoper, 1928, spielte sie die Rolle der Jenny. Auch in der Verfilmung von G. W. Pabst, 1931, war sie in dieser Rolle zu sehen und wurde durch ihre Interpretation des Lieds von der Seeräuber-Jenny bekannt; auch trat sie als Schauspielerin in Stücken von Wedekind und Feuchtwanger auf. Ein weiterer Erfolg für Lenya wurde die Berliner Aufführung der Oper Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny 1931.
1935 emigrierten Lotte Lenya und Kurt Weill in die USA. Lenya sang in Nachtclubs in New York und ging auf Theatertournee quer durch die Vereinigten Staaten. Nach einem Misserfolg in Weills Operette The Firebrand of Florence im Jahr 1945 zog sie sich als Schauspielerin weitgehend zurück, da sie wegen ihres Akzents keine weiteren Erfolgschancen sah. Nach dem Tod Weills, 1950, kümmerte sich Lenya um seinen Nachlass. Mitte der 1950er Jahre kehrte sie zu Auftritten nach Deutschland zurück und nahm unter anderem die Oper Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny, die Dreigroschenoper und Die sieben Todsünden auf Schallplatte auf. Bei den Ruhrfestspielen in Recklinghausen trat sie in den 1960er-Jahren als Mutter Courage auf. In späteren Jahren machte sich Lotte Lenya auch als Filmschauspielerin in Hollywood einen Namen. Besonders bekannt wurde sie in der Rolle der Ex-KGB-Offizierin Rosa Klebb in dem James-Bond-Film Liebesgrüße aus Moskau (1963). 1978 hatte sie ihre letzten Auftritte. Damals war sie bereits an Krebs erkrankt, woran sie drei Jahre später in New York starb. Lotte Lenyas Grab befindet sich neben dem von Kurt Weill in New York.

Für uns geht es nun über die Fasanenstraße bis zum Kurfürstendamm, biegen dort rechts ab und treffen uns vor der Hausnummer 29.

253. Kiezspaziergang - Mammen Gedenktafel

Station 2: Kurfürstendamm 29: Gedenktafel für Jeanne Mammen

Wir stehen hier vor dem Gebäude, in dessen Hinterhof sich Jeanne Mammens Atelierwohnung befand. Sie ist auch öffentlich zugänglich, aber sie fasst nicht so viele Personen. Mammen ist eine für Berlin sehr wichtige Zeichnerin und Malerin und wird häufig zusammen mit Käthe Kollwitz und Hannah Höch genannt. Alle drei setzten sich kritisch mit der gesellschaftlichen Wirklichkeit auseinander und hatten ihre große Zeit in der Weimarer Republik, Käthe Kollwitz auch schon davor. Mammen gehört damit, wie Mascha Kaléko im Bereich der Dichtkunst, zu den Vertreterinnen der Neuen Sachlichkeit.
Jeanne Mammen wurde 1890 als jüngste Tochter einer wohlhabenden Fabrikantenfamilie in Berlin geboren. Ihre Kindheit verbrachte sie in Paris, wo ihre Eltern sich 1895 niedergelassen hatten. Nach der Schule studierte sie Malerei, zuerst in Paris, dann in Brüssel und Rom. Bei Ausbruch des Ersten Weltkrieges flüchtete die Familie nach Holland. 1916 kam Mammen völlig mittellos nach Berlin zurück und schlug sich als Modezeichnerin und Graphikerin mit Gelegenheitsjobs durch. 1919 zog sie zusammen mit ihrer Schwester und Künstlerkollegin Marie Luise in das Atelier im Hinterhaus am Kurfürstendamm 29. In den 20er-Jahren wurden ihre gesellschaftskritischen Zeichnungen und Aquarelle mehr und mehr anerkannt. Mit manchmal sarkastischem Humor porträtierte sie das Berliner Großstadtleben. Ihre Zeichnungen und Aquarelle wurden in Illustrierten, Mode- und Satire-Zeitschriften gedruckt, unter anderem im Simplicissimus, Ulk und Junggesellen.

Kurt Tucholsky schrieb ihr 1929, ich zitiere:

„Die zarten duftigen Aquarelle, die Sie in Magazinen und Witzblättern veröffentlichen, überragen das undisziplinierte Geschmier der meisten Ihrer Zunftkollegen derart, dass man Ihnen eine kleine Liebeserklärung schuldig ist. Ihre Figuren fassen sich sauber an, sie sind anmutig und herb dabei, und sie springen mit Haut und Haaren aus dem Papier.
In dem Delikatessenladen, den uns Ihre Brotherren wöchentlich oder monatlich aufsperren, sind Sie so ziemlich die einzige Delikatesse.“

Ihre erste Ausstellung hatte sie 1930 in der Galerie Gurlitt. Im Auftrag von Fritz Gurlitt schuf sie 1931/1932 “Die Lieder der Bilitis”, eine Serie von acht zweifarbigen Lithographien als Hommage an die lesbische Liebe. Die Machtergreifung der Nationalsozialisten im Januar 1933 verhinderte das Erscheinen der Auflage; nur einige Probeandrucke sind erhalten geblieben. Der Nationalsozialismus trieb sie ins innere Exil. Sie zog sich zurück und veränderte ihren künstlerischen Stil, nun begann die an Picasso orientierte kubistisch-expressive Phase. Nach dem Krieg wurden ihre Bilder abstrakter und sie experimentierte mit lyrischen Abstraktionen und Glanzpapier-Collagen. 1949/1950 schloss sie sich dem surrealistischen Kabarett “Die Badewanne” an und trat auch selbst auf. Sie war sowohl Teil des Ensembles, schuf aber auch die Bühnenbilder. Das Kabarett spielte in der Nürnberger Straße 50-56 in der Femina-Bar und bestand nur ein halbes Jahr.
1971 wurde Mammen wiederentdeckt. Die Galerien Brockstedt in Hamburg und Valentien in Stuttgart zeigten Ausstellungen mit ihren Werken. In feministischen Gruppen wurde sie seither populär. 1997 hat ihr die Berlinische Galerie eine umfassende Retrospektive gewidmet. Dort befindet sich auch ihr Nachlass. In ihrem Atelier hier am Kurfürstendamm arbeitete Mammen zurückgezogen fast 57 Jahre bis zum ihrem Tod am 22. April 1976. Heute residiert hier der Förderverein Jeanne Mammen Stiftung e.V. Er gibt Publikationen über die Künstlerin heraus, betreut wissenschaftliche Arbeiten über Jeanne Mammen und erhält das historische Wohnatelier als Archiv und kleines Museum weitgehend im Originalzustand. Eine Besichtigung des Ateliers von Jeanne Mammen ist nach Terminvereinbarung möglich. Alle Information sind im Internet zu finden unter www.jeanne-mammen.de.
Ihr zu Ehren wurde 1995 diese Berliner Gedenktafel angebracht.

Für die nächste Station treffen wir uns an der Ecke Kurfürstendamm/Uhlandstraße/ Grolmannstraße vor dem KPM Pavillon.

253. Kiezspaziergang - Innerer Auge

Station 3: Kurfürstendamm 32: “Das innere Auge” von Jacqueline Diffring

Der ca. 1,50 Meter hohe und 400 Kilogramm schwere Bronzekopf der Bildhauerin Jacqueline Diffring wurde anlässlich ihres 90. Geburtstages am 17. September 2010 von der Jacqueline Diffring Foundation vor dem White and Case-Haus am Kurfürstendamm Ecke Uhlandstraße enthüllt. Jacqueline Fiffring wurde 1920 in Koblenz geboren. 1937 begann Sie ein Kunststudium an der legendären Reimann Schule in Berlin, musste aber 1939 nach England emigrieren, wo sie die britische Staatsbürgerschaft erhielt und bis 1946 die Kunstausbildung am Technical College in Cambridge absolvierte. Anschließend studierte sie zwei weitere Jahre Bildhauerei an der Chelsea School of Art in London. Ihr wichtigster Lehrer war Henry Moore. Seit Anfang der 60er Jahre lebt und arbeitet Jacqueline Diffring in Frankreich. 2007 gründete sie die Jacqueline Diffring Foundation in Berlin, eine gemeinnützige Stiftung für Kunst und Kultur.
White & Case ist eine der führenden internationalen Anwaltssozietäten. Sie wurde 1901 in New York gegründet und ist mittlerweile in 25 Ländern als Wirtschaftskanzlei tätig.

Wir laufen nun in die Grolmannstraße bis zur Hausnummer 33.

253.Kiezspaziergang - Agnes von Zahn-Harnack

Station 4: Grolmannstraße 33 – Agnes von Zahn-Harnack

Agnes von Zahn-Harnack wurde am 19. Juni 1884 in Gießen als Tochter des berühmten Theologieprofessors Adolf von Harnack geboren. Er ging 4 Jahre später mit seiner Familie nach Berlin. Agnes ging nach dem Besuch einer privaten Schule an das Lehrerinnenseminar von Ida Klockow in Charlottenburg und absolvierte 1903 ihr Examen. Sie unterrichtete an verschiedenen privaten Schulen in Berlin und studierte Theologie, Germanistik und Anglistik. 1912 promovierte sie an der Universität in Greifswald über Brentanos “Aloys und Imelde”.
Anschließend wurde sie Oberlehrerin hier an der Grolmannstraße am Institut Wellmann von Elpons. Dieses war ein vornehmes privates Internat, in dem 14- bis 16jährigen Mädchen die “höhere Bildung” eines Lyceums vermittelt wurde. Hier lernten Schülerinnen aus ganz Preußen, die aus Familien von Industriellen, Gutsbesitzern und Beamten kamen aber auch aus wohlhabenden jüdischen Familien Berlins. Agnes Harnack unterrichtete Religion, Deutsch und Englisch. Nach dem Ersten Weltkrieg 1919 heiratete sie den Juristen Dr. Karl von Zahn und beendete ihre Schultätigkeit in Charlottenburg.
1921 wurde ihre Tochter und 1923 ihr Sohn geboren, aber Agnes von Zahn-Harnack beschränkte sich nicht wie so viele andere Frauen nach der Heirat auf das Familienleben, sondern sie engagierte sich mehr und mehr in der bürgerlichen Frauenbewegung. Sie beschäftigte sich als Publizistin mit den Schwierigkeiten von Akademikerinnen und kämpfte politisch für die Mitwirkung von Frauen an der Gesetzgebung. 1926 gründete sie den Akademikerinnen-Verband und war von 1931 bis 1933 Vorsitzende des Bundes deutscher Frauenvereine, den sie vor der drohenden nationalsozialistischen Gleichschaltung auflöste. Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs gründete sie den Berliner Frauenbund e.V. und engagierte sich in der Flüchtlingshilfe. Sie schrieb eine Biografie ihres Vaters, für die ihr die theologische Fakultät der Universität Marburg die Ehrendoktorwürde verlieh. Am 22. Mai 1950 starb sie im Alter von 65 Jahren in Berlin.

Wir laufen weiter bis zum S-Bahnbogen.

253. Kiezspaziergang - Jeanne-Mammen-Bogen

Station 5: Jeanne-Mammen-Bogen

Vorhin lernten wir ja bereits Jeanne Mammen kennen. Nun stehen wir hier vor dem nach ihr benannten Bogen: Der Bogen ist seit dem 7. Juli 1999 nach der Künstlerin benannt.

Wir gehen nun durch die Unterführung und treffen uns am Else-Ury-Bogen.

249. Kiezspaziergang -Else-Ury-Bogen

Station 6: Else-Ury-Bogen

Else Ury wurde am 1. November 1877 in Berlin geboren und am 13. Januar 1943 in Auschwitz ermordet. Sie war die Autorin der Nesthäkchen-Kinderbücher: Rund siebzig Lebensjahre umfassen die 10 Nesthäkchen-Bände. Ury beschreibt darin fast ein ganzes Frauenleben von der Kaiserzeit bis zur Weimarer Republik. In ihren Büchern und Erzählungen, die sich vor allem an Mädchen richteten, vertrat Ury überwiegend ein traditionell bürgerliches Familien- und Frauenbild. Ihre Bücher waren sehr erfolgreich und sie war bis zum Machtantritt der Nationalsozialisten eine anerkannte und erfolgreiche Schriftstellerin.
Während des Dritten Reichs sind die meisten privaten Aufzeichnungen von Else Ury verloren gegangen. Anhand erhalten gebliebener amtlichen Schriftstücke kann man aber die zunehmende Ausgrenzung Else Urys aus dem Leben in Deutschland nachvollziehen. Dazu gehören u.a. die amtliche Erklärung über den Entzug ihres gesamten Vermögens, die amtliche Inventarliste über die in ihrer Wohnung befindlichen Gegenstände und die offizielle Zuweisung der Wohnung an einen „Arier“. In den Else-Ury-Bögen Nr. 599-601 befindet sich heute die Autorenbuchhandlung.

Stolperstein Amalie Lilli Klein, Foto: A. Bukschat & C. Flegel, 25.08.2012

Station 7: Kantstraße 129: Stolperstein für Amalie Lilli Klein

Amalie Lilli Klein wurde am 10. Mai 1862 in Wien als Amalie Oser geboren. Ihr Vater war Kapellmeister in Wien und lebte zeitweilig auch in Berlin. Amalie war die Älteste von sechs Geschwistern, sie hatte noch zwei Schwestern, Adele und Elly, und vier Brüder. Von den Brüdern lebte mindestens einer, Arthur, auch in Berlin, wurde dort „Impresario“ – so das Adressbuch – und war unter anderem Manager des Jongleurs Enrico Rastelli.
Wann Amalie Oser genau nach Berlin kam, bleibt unklar. Sie heiratete den Opernsänger Heinrich Klein. Dessen Künstlername war Cornelli und unter dem Namen Cornelli-Klein unterhielt er auch Anfang des Jahrhunderts eine Theateragentur. Sie hatten zwei Kinder, Benno und Alice. Musikalisch aufgewachsen, wurde Amalie selbst Sängerin und nahm den Künstlernamen „Lilli“ an. Im Adressbuch wird sie als Gesangsmeisterin und Konzertsängerin geführt. In der Kantstraße 129 lebte Lilli Klein bis sie 1942, im Alter von 80 Jahren, in ein Sammellager eingewiesen wurde. Bis zuletzt gehörte Musik zu ihrem Lebensinhalt: Ihren größten Schatz, ihre Klavierauszüge, vertraute sie einer Nachbarin an, als sie abgeholt wurde. Die Klavierauszüge gingen im Bombenhagel verloren, Lilli Klein wurde am 3. Oktober 1942 nach Theresienstadt deportiert und kam dort wenige Wochen später, am 18. November 1942, ums Leben.

Nun spazieren wir erst einmal ein etwas längeres Stück und treffen uns an der Ecke Kantstraße 101 und Kaiser-Friedrich-Straße und biegen links ab

253. Kiezspaziergang - Herta Heuwer Tafel

Station 8: Gedenktafel für Herta Heuwer

Hier finden wir die Gedenktafel für eine Frau, deren Erfindung wohl jeder hier kennt: die Currywurst.
Als „Mutter der Currywurst“ bezeichnete sich Herta Heuwer, die im Witzleben-Kiez von 1949 bis 1979 ihren Imbiss hatte. Von der Kantstraße aus begann das “Steak des kleinen Mannes” seine Erfolgsgeschichte. Noch heute werden allein in Berlin etwa 70 Millionen Currywürste pro Jahr verspeist.

Herta Charlotte Heuwer wurde am 30. Juni 1913 in Königsberg als sechstes Kind des Bauunternehmers und Zimmermanns Hermann Pöppel und der Fabrikarbeiterin Minna Emilie Pöppel geboren.

Nach dem Umzug der Familie nach Berlin machte sie von 1929 bis 1932 eine kaufmännische Weiterbildung und anschließend eine Lehre zur Schneiderin. Danach besuchte sie Haushalts- und Kochkurse und heiratete 1935 den bei Siemens & Halske beschäftigten Feinmechaniker Kurt Emil Heuwer. Zwischen 1936 und 1940 war sie Verkäuferin im KaDeWe.
Nach dem Krieg macht sich Herta selbstständig. 1946 fängt sie mit dem Verkauf von Würstchen an, zuerst mit einem Bauchladen, drei Jahre später im eigenen Imbiss.
Bereits 1949 mixt sie in ihrer Imbissbude eine scharfe und pikante Sauce zusammen, die mit Tomatenmark und zwölf indischen Gewürzen verfeinert wurde, dazu reichte sie die kross angebratene Brühwurst im Darm. Wie Sie darauf kam? Sie erzählt selbst:

„Es goss kleene Kinderköppe, kein Mensch an meiner Bude. Aus Langeweile rührte ich Gewürze mit Tomatenmark zusammen. Und es schmeckte herrlich.“

Zehn Jahre später lässt sich Heuwer ihre ganz spezielle Mixtur sogar patentieren und nennt ihre Soße in Anlehnung an die Grundzutaten „Chillup“. Auch die englische Worcestershiresauce und weitere unbekannte Zutaten enthält die Soße.
Später betreibt Heuwer an selbigen Standort erfolgreich eine Imbisshalle mit 19 Verkäuferinnen, die im Schichtbetrieb arbeiten. Denn am Stuttgarter Platz ist wegen des Bahnhofs Charlottenburg immer etwas los und die Currywurst erfreut sich großer Beliebtheit. Pünktlich zu ihrem 66. Geburtstag wird die letzte Currywurst gebraten, danach das Geschäft geschlossen. Herta Heuwer verbringt ihre Rentenzeit in der Siedlung Eichkamp in Westend. Sie stirbt 1999 im Alter von 86 Jahren und wird auf einer Urnengemeinschaftsgrabstätte des Städtischen Friedhofs Wilmersdorf in Berlin beigesetzt. Ihr Currywurst-Rezept nimmt sie mit ins Grab.

Wir laufen nun weiter bis zur Kantstraße 79.

253. Kiezspaziergang - Frauengefaengnis

Station 9: Das Frauengefängnis an der Kantstraße 79

Das Gefängnis mit seinen etwa 6 Quadratmeter großen Zellen war von 1897 bis 1933 eine Untersuchungshaftanstalt, von 1934 bis 1939 wurden weibliche und männliche Regimegegner im Gefängnis untergebracht und ab 1939 hauptsächlich Frauen aus dem Widerstand, vor allem aus der Roten Kapelle.
Das Vorderhaus an der Kantstraße ist ein zeitgleich entstandenes Gerichtsgebäude, das – eher ungewöhnlich für Justizbauten dieser Epoche – in die geschlossene Bebauung der Straße eingefügt wurde. Die Gebäude wurden 1896 nach Plänen der Architekten und preußischen Baubeamten Adolf Bürckner und Eduard Fürstenau im Stil der Neorenaissance als Strafgericht mit dazugehörigem Gefängnis errichtet.
Prominente Frauen waren hier inhaftiert, ich nenne hier beispielhaft Mildred Harnack und Libertas Schulze-Boysen. Von ihr stammt ein Gedicht, das sie kurz nach ihrer Einlieferung schrieb, ich zitiere daraus die erste Strophe:

“Sie nahmen den Namen mir an der Tür, das Wünschen an der Schwelle. Die Träume einzig blieben mir in meiner kahlen Zelle.”

Das Gefängnis war im Vergleich zu den anderen nicht ganz so streng, was sich gut im Bericht von Greta Kuckhoff spiegelt, die den Nationalsozialismus überlebt hat.
Greta Kuckhoff war sechs Monate in der Kantstraße 79. Später, von 1950 bis 1958, war sie Prädentin der Staatsbank der DDR und dann im Friedensrat aktiv. Sie starb 1981 in Wandlitz.
Ende April 1945 konnten alle noch lebenden Frauen aus dem Gefängnis fliehen, doch schon am 16. Mai wurde es durch die sowjetischen Militärs wieder in Betrieb genommen, im Juli wurde es der britischen Militärregierung unterstellt. Von 1948 bis 1970 wurde es zum Frauenjugendgefängnis, dann war das Grundbuchamt und zum Schluss das Archiv des Kammergerichts hier untergebracht. 1985 wurde es geschlossen. In dem leerstehenden Gefängnis fanden dann gelegentlich Dreharbeiten statt, z.B. spielen einige Szenen von “Der Vorleser” mit Kate Winslett darin, Bushido drehte einen Video-Clip und manchmal war es die Kulisse für Modeevents. Im Juni 2010 wurde das Gelände geräumt und im Herbst verkauft.
2022 wurde in den Gebäuden ein Hotel eröffnet. Dabei blieben Spuren der früheren Nutzung des Gebäudes erhalten, soweit in einem Hotel möglich. Außerdem ist ein Gedenkraum für die hier inhaftierten Opfer der NS-Diktatur eingerichtet.

Für unsere letzte Station biegen wir rechts in die Suarezstraße ab und treffen uns an der Hausnummer 57.

253. Kiezspaziergang - Gedok Galerie

Station 10: Gedok: Suarezstraße 57

Hier residiert die GEDOK Berlin und wir wollen uns erklären lassen, was die GEDOK ist, und warum Künstlerinnen in Deutschland immer noch benachteiligt werden.
Die GEDOK (Gemeinschaft Deutscher und österreichischer Künstlerinnenvereine aller Kunstgattungen – so der damalige Name) wurde als übergreifender Verband im Jahr 1926 von Ida Dehmel in Hamburg gegründet.
In Berlin gab es zu dieser Zeit zwar schon eine Geschäftsstelle, die Gründung einer Regionalgruppe sollte aber noch bis ca. 1931 dauern. 1932 wird dort bereits von 168 Mitgliedern berichtet. Ida Dehmel hatte mit der Gründung der Berliner Gruppe Edith Mendelssohn-Bartholdy beauftragt, die sich insbesondere für das künstlerische Schaffen von Frauen engagierte.
Sie, wie auch Ida Dehmel, wurden 1933 auf Grund ihrer jüdischen Herkunft durch die Nationalsozialisten zum Rücktritt gezwungen. Der unmittelbar bevorstehenden Deportation und Ermordung entzog sich Ida Dehmel durch Suizid.
1942 wurde die Berliner GEDOK-Gruppe zur konformen “Reichs-GEDOK” und in die nationalsozialistische Reichskulturkammer integriert. Nach Ende des Zweiten Weltkriegs löste die Militärregierung alle noch bestehenden Vereine, Parteien und Verbände, also auch die Reichs-GEDOK, auf.
Schon Anfang 1946 erhielten jedoch erste GEDOK-Regionalgruppen die Genehmigung, ihre Tätigkeit wiederaufzunehmen.
In Berlin vertrat in dieser Zeit der Verein der Berliner Künstlerinnen, seit 1951 dem Bundesverband der GEDOK als kooperatives Mitglied angeschlossen, die Interessen der Künstlerinnen.
Am 6. März 1960 erfolgte dann auch in Berlin die Neugründung der Berliner GEDOK-Gruppe. Neben der Schauspielerin Mary Schneider-Braillard und der Komponistin Grete von Zieritz nahmen daran eine Reihe anerkannter Künstlerinnen wie Ima Breusing (Malerin), Gusta Wolf (Malerin), Ilse Molzahn (Schriftstellerin), Dorothea Adler (Rezitatorin), Lizzie Hosaeus (Grafikerin) und Nina von Jaanson (Fotografin) teil.
Kunstfreundin Hilde Weström, Architektin, war Mitinitiatorin der Gründung und ist heute immer noch Mitglied in der Berliner Gruppe.
Im ersten Vorstand waren Mary Schneider-Braillard erste, Grete von Zieritz zweite Vorsitzende, Gusta Wolf, Beauftragte des Vereins der Berliner Künstlerinnen, wurde zur Schatzmeisterin gewählt.
1962 wählten die Mitglieder die Autorin Ingeborg Drewitz zur ersten Vorsitzende.
Die Förderung von Künstlerinnen aller Sparten war auch im damaligen kulturellen Leben West-Berlins etwas Besonderes.
In den ersten Jahren nach der Gründung hatte die GEDOK jedoch noch sehr mit ihrem aus der Vorkriegszeit stammenden Ruf eines elitären, bürgerlichen Vereins kunstbegeisterter Damen zu kämpfen. Ein Ruf, der insbesondere in den siebziger Jahren zu einer starken Abwertung führte und auch heute leider noch in manchen Köpfen weiter spukt.
Ausstellungsräume gab es anfangs gar nicht, und so fanden die Jahresausstellungen des Vereins, in der Regel als Weihnachts-Verkaufsausstellungen, abwechselnd in den privaten Räumen von Mathilde Bering, Hilde Weström, Liselotte Küster und anderen Kunstfreundinnen bzw. Künstlerinnen statt. Hilde Weström beispielsweise stellte ihr Haus zwanzig Jahre lang für zahlreiche Ausstellungen zur Verfügung.
1970 fand die erste Jahresausstellung außerhalb privater Räume in der ehemaligen Galerie des 20. Jahrhunderts in der Jebensstraße, am Bahnhof Zoologischer Garten, statt. Danach wurden die Ausstellungen über einige Jahre im Haus am Lützowplatz gezeigt, in der Regel begleitet von einem kleinen Katalog.
Ein umfangreicher Katalog erschien erstmals 1986 unter der damaligen Vorsitzenden Eva-Marie Treppe, zur GEDOK-Bundesaustellung „Gegenlicht“ in der Staatlichen Kunsthalle in West-Berlin, die mit 44 Werken von Künstlerinnen der Generation Ida Dehmels und über 80 Werken zeitgenössischer Künstlerinnen der Bundesrepublik und Österreichs Retrospektive und Perspektive in einem war.
Der Fall der Berliner Mauer eröffnete auch für die GEDOK Berlin gänzlich neue Perspektiven. Als erster Künstler-Verein ging sie direkt auf Künstlerinnen aus Ost-Berlin zu. Besonders die GEDOK-Künstlerin Gisela Weimann knüpfte sehr schnell Kontakte warb Mitglieder. Bereits im März 1990 traten erste Künstlerinnen aus dem Ostteil der Stadt der GEDOK bei.
Die erste große Ausstellung, die die GEDOK gemeinsam mit Künstlerinnen aus dem Ostteil der Stadt bereits 1992 veranstaltete, wurde durch die 1. Vorsitzende Christel Wankel initiiert und fand im Ausstellungszentrum am Fernsehturm statt. Organisiert hatte sie die damalige stellvertretende Vorsitzende Nanna Zernack. Damit war ein wichtiger Schritt auf dem Weg zu einer alle Trennungen überbrückenden Vereinigung der Künstlerinnen in Berlin getan. Die Zahl der Mitglieder wuchs schnell auf 300 an. Enttäuscht traten zwar einige Künstlerinnen aus dem Osten der Stadt bald wieder aus. Andere wiederum fanden ihren Platz, engagierten sich und wussten die aus Ost und West vereinten Strukturen des Vereins bis heute intensiv und mit Gewinn zu nutzen.
Mit der Ausstellung Synopse 06 knüpfte die GEDOK Berlin an diesen Beginn bewusst noch einmal an. Durch vier Veranstaltungsorte, die sowohl im West- wie im Ostteil Berlins lagen, wurde ein Bogen zwischen beiden Stadthälften gespannt, der darauf verwies, dass die GEDOK als erster Verband in der Wendezeit Künstlerinnen aus West und Ost vereinte.
Bei der Konzipierung des Projekts POSITIONEN – 20 Jahre nach der Wende – spielten Fragen der Zuordnung von Künstlerinnen in Ost und West dann keine Rolle mehr. Die Bedingungen für ihr künstlerisches Schaffen sind inzwischen, unabhängig vom Wohnort, angeglichen. In ihrer 50-jährigen Geschichte seit ihrer Neugründung hat die GEDOK Berlin zunehmend an öffentlicher Bedeutung gewonnen und ihre frauenpolitischen Ziele nachdrücklich vertreten. Maßgeblich war sie 1989 an der Aktion “Frauen. Kultur. Kultur. Arbeit” in der Akademie der Künste beteiligt, die zur Einrichtung der Arbeitsgruppe “Kulturelle Aktivitäten von Frauen” und des Künstlerinnenprogramms beim Berliner Senat führte.
Mit zahlreichen öffentlichen Präsentationen der Kunst von Frauen bereichert die GEDOK Berlin seitdem die Berliner Kulturlandschaft. Wichtige Ausstellungen, vielbeachtete Konzerte und zahlreiche Lesungen demonstrieren die umfassenden Aktivitäten der GEDOK Berlin in den letzten Jahrzehnten.
Mit der Eröffnung einer GEDOK GALERIE im Jahr 2013 verfügt die GEDOK Berlin erstmalig über die Möglichkeit sich täglich als Künstlerinnen-Verein darzustellen.

Nun sind wir auch wieder am Ende unseres Spaziergangs. Ich danke Ihnen für die heutige Aufmerksamkeit.

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