251. Kiezspaziergang: Schmargendorf: Ein Dorf mitten in der Stadt und seine Geheimnisse

251. Kiezspaziergang - Bauch

Herzlich willkommen zum 251. Kiezspaziergang. Mein Name ist Kirstin Bauch und ich bin die Bezirksbürgermeisterin von Charlottenburg-Wilmersdorf.

Unser Kiezspaziergang führt uns heute durch Schmargendorf.

Im charmanten Schmargendorf glaubt man sich weit weg von der Großstadt – und ist doch mittendrin. Nur 15 Minuten braucht der Bus vom Kudamm. Die Nähe zur Metropole und die Idylle am Rande des Grunewalds sorgten schon Ende des 19. Jahrhunderts dafür, dass die „Sommerfrischler“ in Scharen nach Schmargendorf kamen. Bis heute hat sich der Ortsteil seine Attraktivität bewahrt. Schmargendorf hat auch ein paar Berliner Superlative zu bieten hat:
Die kleinste Dorfkirche, das erste Wohnhochhaus, einen geheimen unterirdischen Bunker und den vielleicht beliebtesten Trausaal der Stadt.

Dorfkirche Schmargendorf

Station 1: Die Dorfkirche Schmargendorf

Das 19. Jahrhundert brachte nicht nur für die Bauern, sondern auch für die kleine Schmargendorfer Dorfkirche ein paar Veränderungen.
Der Giebel der Kirche wurde mit einem Turm aus Fachwerk verziert, der heute lediglich mit Holzbrettern versehen ist. Das Kirchenschiff wurde umgestaltet und es wurden endlich Kirchenbänke eingebaut. Bis dahin mussten die Kirchgänger beim Gottesdienst stehen – und sich zum Beten auf den nackten Steinboden knien. 1937 gab es noch einmal größere Umbaubauarbeiten. Der ursprüngliche gotische Innenraum wurde rekonstruiert und der Boden aufgerissen, um eine Heizung einzubauen. Die Überraschung war groß, als dabei einige Gebeine zum Vorschein kamen.

Sie gehörten zu sieben Mitgliedern der Familie Wilmersdorf, die dreihundert Jahre zuvor in der Kirche beigesetzt worden waren, unter ihnen auch der beliebte und weit über die Grenzen Schmargendorfs bekannte Hans von Wilmersdorf. Er war Hofrat in Berlin gewesen und hatte sich diplomatische Verdienste im Dreißigjährigen Krieg erworben.
Als er 1636 starb, wurde ihm zu Ehren sogar ein Trauergottesdienst in der Nikolaikirche von Berlin abgehalten. Auf eigenen Wunsch fand er aber in der Dorfkirche bei seinen Schmargendorfern die letzte Ruhestätte – und geriet dann doch Vergessenheit. Zum Glück half sein goldener Ehering am Finger, die verfallenen Knochen zuzuordnen.

Wer jetzt in der richtigen Stimmung für noch mehr Grabstätten ist, sollte dem beschaulichen Friedhof hinter der Dorfkirche einen Besuch abstatten. Das terrassenförmig gestaltete Gelände lädt zu einer kleinen Entdeckungstour ein. Neben dem Maler Max Pechstein (1881– 1955) und
dem Gründer des in Schmargendorf ansässigen Schulbuchverlags Franz Cornelsen (1908–1989) wurde hier auch die Flugpionierin Melli Beese (1886–1925) beigesetzt.
Sie war die erste deutsche Frau, die einen Pilotenschein machte, eine eigene Flugschule gründete und selbst sogar Motorflugzeuge konstruierte und baute.

Nun möchte ich Ihnen gleich hier auch etwas zur Straße erzählen, an der wir uns befinden.

Station 2: Breite Straße

Lange war Schmargendorf kaum gewachsen und ein reines Bauerndorf geblieben. Um 1890 sollte sich das ändern. Die unbefestigte Dorfstraße wird erst in Hauptstraße und ein paar Jahre später in Breite Straße umgetauft. Nach und nach verdrängen neue Gründerzeitbauten die alten Bauernhäuser. Die Breite Straße wird zur wichtigsten Geschäftsstraße von Schmargendorf – und ist es zusammen mit der Berkaer Straße bis heute geblieben. Ihren Namen alle Ehre macht sie aber erst ab den 1960er-Jahren, als die Breite Straße – ganz im Sinne des Zeitgeistes – zur sechsspurigen Verkehrsader erweitert wird.
Dafür muss die gesamte Bebauung auf der südlichen Straßenseite weichen und wird durch ein Gebäudeensemble mit flachen Ladenpavillons und einer kleinen Passage ersetzt. Dass auch diese Bauten heute noch für ein geschäftiges Leben sorgen, liegt an Läden wie der Schmargendorfer Buchhandlung, die seit fast dreißig Jahren nicht einfach nur Bücher verkauft, sondern mit einem sorgfältig kuratierten Angebot, Veranstaltungen und Lesungen so etwas wie die kulturelle Institution des Ortes ist. Die Chefin der Buchhandlung war viele Jahre engagierte Sprecherin eines hier weiterhin aktiven Unternehmernetzwerkes.
Dieses bündelt die Interessen und Kräfte der lokalen Gewerbetreibenden und Dienstleister der Umgebung und lässt es in gemeinsame standortfördernde Marketingaktionen einfließen, um die Verbundenheit der Schmargendorfer mit ihrem Wohnviertel zu stärken.

Nun gehen wir einmal über die Straße und gehen nach links. Wir treffen uns an der Hausnummer 20.

251. Kiezspaziergang - Hinterhof

Station 2: Hinterhof Haus Breite Straße 20:

Das alte Schmargendorf der Hinterhöfe und Remisen ist an der Breiten Straße heute fast verschwunden. Hinter der Hausnummer 20 lässt sich aber noch der romantische Charme des frühen 20. Jahrhunderts entdecken. Hat man den gepflasterten Hof betreten, erfreuen kleine Bänke und dekorative Blumenarrangements vor geduckten Backsteinremisen das Auge. Hier gibt es unter anderem eine kleine Galerie und ein Geschäft, in dem man herrlich farbenfrohe Stoffe aus traditioneller deutscher Produktion kaufen kann.
Der Hof ist ein verstecktes Schmargendorfer Juwel, das darüber hinwegtröstet, dass nur wenige Meter weiter 2017 das letzte alte Bauernhaus auf der Breiten Straße abgerissen wurde, um einem Neubau Platz zu machen

Nun gehen wir die Breite Straße weiter und biegen nach rechts in die Friedrichshaller Straße. Wir treffen uns am Kohlberger Platz.

Kolberger Platz

Station 3: Kolberger Platz

Seit 1908 heißt der Kolberger Platz nach dem westpommerschen Ostseebad. Auch die umliegenden Straßen – und nicht nur die, sondern ein Großteil der Schmargendorfer Straßen – sind nach Kur- und Seebädern benannt. Zufall ist das nicht, sondern eher eine frühe Idee geschickten Stadtmarketings. Mit dem Bau der Ringbahn war Schmargendorf aus seinem dörflichen Schlaf gerissen worden. Dabei lag der S-Bahnhof Schmargendorf (der heutige Bahnhof Heidelberger Platz) sogar relativ weit entfernt vom Ortskern, was dem Starrsinn ansässiger Bauern zu verdanken gewesen war.
Diese hatten sich geweigert, ihr Land zu verkaufen und fürchteten außerdem, dass die Funken der vorbeifahrenden Dampflokomotiven ihre Felder in Brand setzen könnten. Am liebsten wären sie ganz ohne S-Bahn-Anschluss geblieben. Aber spätesten mit den neuen Straßenbahnlinien, die ab 1888 nach Schmargendorf führten, war es endgültig mit der Ruhe vorbei. Nun kamen immer mehr Großstädter als (Wochenend-)Ausflügler auf dem Weg in den Grunewald durch Schmargendorf.
Zum Verweilen luden dutzende Ausflugslokale am Dorfrand ein. Auch die einst so störrischen Bauern erkannten bald das wirtschaftliche Potenzial der „Sommerfrischler“ und begannen,
ihre Remisen als Unterkünfte zu vermieten. Eine Zeitung verstieg sich 1890 gar zu der Behauptung, dass „das vor wenigen Jahren kaum dem Namen nach bekannte Dörfchen heute bereits zu einem unentbehrlichen Luftkurort für zahlreiche Residenzbewohner geworden (sei), die hier in der ozonreichen Luft des Grunewalds Ersatz für den Aufenthalt im Thüringer Wald suchen“. Ein solches Image galt es zu pflegen, weshalb die neu gezogenen Straßen im wachsenden Schmargendorf nun die nach Erholung klingenden Namen verpasst bekamen. An diesen Straßen ließen sich auch immer mehr wohlhabende Zuzügler dauerhaft nieder, die die Wohnqualität Schmargendorfs zu schätzen wussten –
und sie sich auch leisten konnten. Der dreieckige Kolberger Platz diente den Schmargendorfern ab 1913 als offizieller Marktplatz. Das hat sich bis heute nicht geändert. Jeden Samstag (und öfters auch Mittwoch) findet ein Wochenmarkt für frische und regionale Produkte statt. Und wenn kein Markttag ist, werden im Hofladen am Kolberger Platz all jene fündig, die Wert auf eine große Auswahl an Bioprodukten legen.
Der schicke moderne Laden würde auch jedem Berliner Szenebezirk gut zu Gesicht stehen. Viele der angebotenen Waren kommen aus einem eigenen Anbaubetrieb oder von befreundeten regionalen Erzeugern.
Wer mit dem Schlemmen nicht warten will, kann zum Beispiel selbstgebackenen Kuchen gleich im angeschlossenen Café des Hofladens genießen.

Für unsere nächste Station treffen wir uns am Rathaus Schmargendorf.

Rathaus Schmargendorf

Station 4: Rathaus Schmargendorf:

Was haben Albert Einstein, und Ernst Lubitsch, Romy Schneider, Harald Juhnke, Curt Jürgens, Roland Kaiser, Paul Kuhn und Ingrid Steeger gemeinsam? Sie alle haben im Rathaus Schmargendorf „Ja“ gesagt und mit dafür gesorgt,
dass der Ratssaal von Schmargendorf zur vielleicht beliebtesten Eheschmiede von Berlin geworden ist. Aber von vorn: Als das neue Rathaus 1902 fertiggestellt war, staunten die Schmargendorfer nicht nur über das viele Geld, das der Bau verschlungen hatte, sondern auch über seine Größe und Pracht.
Auf dem freien Feld hatte der Potsdamer Architekt Otto Kerwien ein überdimensioniertes Backsteingebäude geschaffen, das bis heute mit seiner Schönheit beeindruckt. Vor allem aber zeugt es von dem damaligen Selbstbewusstsein des boomenden Schmargendorfs. 1899 hatte Schmargendorf rund 2000 Einwohner und bekam den Status eines eigenständigen Amtsbezirkes verliehen.
Ein eigenes Rathaus musste her, das sogleich deutlich machen sollte, dass der Aufstieg Schmargendorfs noch lange nicht zu Ende war. Das Geld für den Bau bekam die Gemeinde aus den Steuern auf Landverkäufe für den Ausbau des Hohenzollerndamms. Die Gestaltung des Rathauses zeigt einen gelungenen Stilmix verschiedener gotischer Gebäude Brandenburgs mit einem Hauch von Jugendstil.
Er verleiht dem Rathaus den spielerischen Charakter einer Märchenburg. Die steilen Giebel sind mit farbigen Mosaiken geschmückt, die Wappen verschiedener Adelsgeschlechter zeigen. Ganz oben thront über allen – mit weit aufgerissenem Schnabel und rausgestreckter Zunge – der rote märkische Adler. Mit der Gründung von Groß-Berlin 1920 wurde die Landgemeinde Schmargendorf zu einem Ortsteil des neu gegründeten Verwaltungsbezirks Wilmersdorf und
das Rathaus Schmargendorf zum Sitz des Wilmersdorfer Standesamts. In der Folge avancierte der pittoreske Bau zum begehrten Ort, den Bund fürs Leben zu schließen, der von prominenten und weniger prominenten Berlinern gleichermaßen geschätzt wird. Der Beliebtheit hat es keinen Abbruch getan, dass das Standesamt 2014 ausgezogen ist. In dem neun Meter hohen Ratssaal, der mit Motiven aus Richard Wagners „Walküre“ verziert ist, kann man sich immer noch trauen lassen.

Wir gehen nun die Berkaer Straße weiter und treffen uns auf Höhe der Carl-Orff-Grundschule und ich erzähle Ihnen etwas über das ehemalige Altersheim für die Jüdische Gemeinde.

251. Kiezspaziergang - ehem. jüdisches Altersheim

Station 5: Ehemaliges Altersheim für die Jüdische Gemeinde Berlin an der Berkaer Straße 31–34

Nur ein paar Schritte von dem überschwänglich verzierten Rathaus entfernt steht ein langgezogener Bau, der im Gegensatz zum Rathaus mit schlichter Eleganz auffällt. Es ist das Haus Wilmersdorf, ein Pflegeheim von Vivantes. Das Gebäude wurde schon als Krankenhaus, von der Spionageabwehr der Nationalsozialisten sowie nach dem 2. Weltkrieg als Britische Kaserne mit Offizierskasino genutzt. Gebaut wurde es aber 1930 als Altersheim für die Jüdische Gemeinde Berlin. Es bot damals Platz für 180 Bewohner. 1941 beschlagnahmten die Nazis die Immobilie und deportierten die Bewohner und das Pflegepersonal. Sie alle wurden im Konzentrationslager ermordet, genauso wie der Architekt des Gebäudes. Alexander Beer war seit 1910 Leiter des Bauamts der Jüdischen Gemeinde Berlin und schuf Ende der Zwanziger-Jahre fortschrittliche Bauten im Stil der Neuen Sachlichkeit, darunter die Synagoge an der Prinzregentenstraße oder die Jüdische Mädchenschule in Mitte.
Auch das ehemalige Altersheim ist mit seinen abgerundeten Balkonen, dem zurückgesetzten Obergeschoss und der kontrastreichen horizontalen Gliederung der Fassade ganz der Ästhetik der Weimarer Zeit verpflichtet.
In Schmargendorf lassen sich noch viel mehr Beispiele für die Architektur der Zwanziger-Jahre finden. 1911 hatte Schmargendorf endgültig mit seiner bäuerlichen Herkunft gebrochen, als die Gemeinde beschloss, auf ihrem Gebiet keine Landwirtschaft mehr zu erlauben.
Ohnehin hatten die meisten Bauern ihre Grundstücke längst vergoldet und als Bauland verkauft. Der Erste Weltkrieg verhinderte aber eine zügige Erschließung, und so klafften Anfang der Zwanziger-Jahre in vielen Straßenzügen noch große Löcher, die erst allmählich geschlossen wurden. In der Weimarer Republik entstanden dann so unterschiedliche wie interessante Wohnensembles wie die Reichsbanksiedlung in der Gegend um den Kissinger Platz oder die Lentze-Siedlung am südöstlichen Rand von Schmargendorf, die für Mitarbeiter der Preußischen Finanzdirektion errichtet worden war. Bis heute sind das begehrte Wohnanlagen geblieben.

Für uns geht es nun weiter Richtung Hohenzollerndamm und biegen dort rechts ab und treffen uns an der Hausnummer 120.

251. Kiezspaziergang - Kunstbunker

Station 6: Kunstbunker ARTIST HOMES

Codename Trafo. So lautete das geheime Bunkerprojekt, das 1937 in Schmargendorf startete.
Für eine Fernmeldekompanie der Luftwaffe wurde auf dem Grundstück des Hohenzollerndamms 120 eine unterirdische Anlage geschaffen, von einer anderthalb Meter dicken Betondecke geschützt.
Der Zugang erfolgte konspirativ über eine straßenseitige Postfiliale. Heute geht es weniger geheim zu. Auf einem Parkplatz steht der moderne gläserne Eingangsbereich, über den man unter die Erde kommt. Unten erwartet den Besucher ein überraschend heller Raum, der nicht mehr dem Militär, sondern ganz dem Kunstgenuss gewidmet ist.
Mit dem Kunstbunker ARTIST HOMES hat sich hier der südkoreanische Jazzgitarrist und studierte Philosoph Jong-Ha Kim hier einen Traum verwirklicht.
Sein Konzept folgt der Idee eines offenen Hauses für Künste aller Art.
Seit 2015 gibt es im ARTIST HOMES Ausstellungen, Konzerte, Theateraufführungen, auch Vorträge und Lesungen. Mit einer Fläche von 800 Quadratmetern ist hier wortwörtlich genug Platz für ganz unterschiedliche Künstler. Neben einem großen Saal für rund 200 Personen bietet der Bunker auch noch kleinere Räume, die als Ateliers, für Workshops oder als Proberäume genutzt werden können. Dank der dicken Betondecke darf es auch mal richtig laut werden.
Ein bisschen Kunst gab es in dem Bunker auch schon, bevor Jong-Ha Kim hier eingezogen ist.
Die rohen Wände zieren farbige Zeichnungen, die die Soldaten damals von sich selbst und ihrem Arbeitsalltag in der Kompanie gemacht haben. Jong-Ha Kim hat sie restaurieren lassen, weil ihm nicht nur die heutige Kunst, sondern auch die Geschichte dieses besonderen versteckten Ortes in Schmargendorf am Herzen liegt.

Für die nächste Station treffen wir uns an der Kreuzkirche.

Evangelische Kreuzkirche

Station 7: Evangelische Kreuzkirche

Manchmal ist es ja gut, wenn die Dinge nicht nach Plan laufen. Denn wäre alles wie geplant gelaufen, würde in Schmargendorf heute nicht der vielleicht spektakulärste Sakralbau der Zwanziger Jahre von Berlin stehen. Als die bescheidene Dorfkirche längst zu klein für Schmargendorf geworden war, wurde 1910 ein Wettbewerb für einen zusätzlichen Kirchenbau am Hohenzollerndamm ausgerufen, den der Architekt Ernst Paulus gewann. Für Paulus war die Sache ein Heimspiel gewesen. Er hatte nicht nur bereits etliche Kirchen auf dem Berliner Gebiet entworfen, sondern sich auch zur gleichen Zeit gerade ein eigenes Haus in
Schmargendorf errichtet. Aber der Erste Weltkrieg und die Inflation der frühen 1920er-Jahre ließen das Bauvorhaben in den Hintergrund geraten. Dann sollte jedoch für die vielen Zugezogenen in Schmargendorf eine neue katholische Kirche errichtet werden. Nun galt es zu verhindern, dass diese eher fertig werden würde als ein evangelischer Neubau, und die Gemeinde drängte endlich auf Umsetzung. Ernst Paulus, der mittlerweile mit seinem Sohn Günther zusammenarbeitete, fand die 15 Jahre alten Entwürfe nicht mehr zeitgemäß und überarbeitete sie. Was das Vater-Sohn-Gespann Paulus dann präsentierte, wurde bei der Einweihung der Kreuzkirche 1929 als „Gipfel der Modernität“ bezeichnet.
Das war nicht nur als Lob gemeint. An der Gestaltung der Kirche scheiden sich bis heute die Geister. Die Kreuzkirche ist ein fast trutziger Bau im expressionistischen Backsteinstil. Kühn ragt der flächige, dreigespitzte Turm an der Straßenecke in die Höhe, „gleichsam als Abwehr gegen das weltliche Treiben“, wie die Architekten es beschrieben. Verspielt ist im Kontrast dazu der asiatisch anmutende, pagodenartige Eingangsbereich aus blauer Keramik gehalten.
Überhaupt ist es die Farbgestaltung, die die Kreuzkirche so besonders wirken lässt: Die Brauthalle ist gelb, der Kreuzgang ist rot, die geschwungen Kirchenbänke sind in einem matten Blau gestrichen.
Der geneigte Boden bietet auch von den hinteren Plätzen beste Sicht auf den ockerfarbigen Altarbereich, dessen Zickzack-Muster auch gut als Kulisse eines expressionistischen Stummfilms dienen könnte. Die Kirchengemeinde hat das Potenzial dieses Raumes längst erkannt und lässt das „weltliche Treiben“ mittlerweile gerne in die Kreuzkirche herein. Es gibt neben den Gottesdiensten ein umfangreiches Kulturprogramm. Unter anderem werden Kinoabende mit Orgelmusik veranstaltet, wie zum Beispiel eine Aufführung von „Nosferatu“ – einem Stummfilmklassiker von 1922.

Wir überqueeren nun die Straße und folgen der Elgersburger Straße bis zur Franzensbadener Straße – dort biegen wir links ab und treffen uns an der Hausnummer 7-8.

251. Kiezspaziergang - ehem. Synagoge Grunewald

Station 8: Synagoge Grunewald

In der Franzensbader Straße 7–8 steht man vor einfachen Wohnhäusern aus den 1950er-Jahren.
Dass sich hier einmal eine ganz ungewöhnliche Synagoge befunden hat, erschließt sich nur aus einer Plakette an den Häusern und einem Glaskasten an der Bushaltestelle. Nach der Gründung von Groß-Berlin hatte Wilmersdorf, zu dem nun Schmargendorf gehörte, mit über 13 Prozent den höchsten Anteil jüdischer Bewohner aller Berliner Bezirke.
Der Bedarf an neuen Synagogen und jüdischen Einrichtungen war enorm, und der „Synagogenverein Grunewald“ war bei der Suche nach einem neuen Gotteshaus auf eine eher unorthodoxe Immobilie in Schmargendorf gestoßen: Den „Franzensbader Garten“.
Das Gebäude im ländlichen Villenhaus-Stil mit Fachwerk, Holzverzierungen und einem Türmchen war um 1900 errichtet worden und als Tanz- und Ausflugslokal bekannt. 1923 begann für die Vergnügungsstätte ein zweites Leben als „Synagoge Grunewald“. Der ehemalige Tanzsaal wurde dafür zum Betsaal für 400 Personen umgebaut. Darüber hinaus waren Rabbiner-, Vereins- und Sitzungsräume für die Gemeinde und ein paar Wohnungen unter dem Dach eingerichtet worden. In der Progromnacht des 9. November 1938 wurde die Synagoge Grunewald – wie die meisten Synagogen in Berlin – niedergebrannt und zerstört, drei Jahre später wurden die Reste des Gebäudes abgerissen. Wie Hohn klingt der Vermerk des Bauamtes der dem Abriss vorausging: „Eine Wiederherstellung des Synagogenteils für gewerbliche Zwecke erscheint unwirtschaftlich (…) Die Brandruine wirkt stark störend auf das Straßenbild und stellt somit eine das Interesse der Allgemeinheit besonders schädigende Verunstaltung dar.“ Um heute eine intakte jüdische Einrichtung in der Gegend zu sehen, braucht man zum Glück nur zwei Straßenecken weitergehen: In der Auguste-Viktoria-Straße befindet sich seit 2001 die Botschaft Israels.

Für die nächste Station treffen wir uns an der Ecke Hohenzollerndamm/Karlsbader Straße. Dafür laufen wir bis zum Elsterplatz und biegen dort nach rechts ab.

251. Kiezspaziergang - kulinarisches Zentrum Schmargendorf

Station 9: Schmargendorfs kulinarisches Zentrum

Erreicht man das weinrote Gebäudeensemble (wir laufen gleich noch daran vorbei) nordöstlich des Rosenecks, ist man gewissermaßen im kulinarischen Epizentrum Schmargendorfs gelandet. Aneinandergereiht findet man dort eine Filiale der Feinkostkette Lindner, das Restaurant Habel und das legendäre Wiener Conditorei Caffeehaus.
Alle drei genießen auf ihre Weise Kultcharakter, der weit über die Grenzen Schmargendorfs hinaus reicht. Im Fall von „Butter Lindner“ – wie die Geschäfte von den Meisten immer noch genannt werden, obwohl die Butter im Namen schon 2005 gestrichen wurde – handelt es sich sogar um ein Schmargendorfer Original. Denn Robert Lindners Erfolgsgeschichte begann 1950 in Schmargendorf, als er zum ersten Mal einen Stand auf dem Wochenmarkt am Kolberger Platz aufbaute. Im Angebot hatte er ein paar einfache Produkte wie Brot, Schmalz und Käse – und natürlich die berühmte Butter aus dem Fass.
1964 eröffnete er seinen ersten Laden. Heute gibt es allein in Berlin rund 40 Lindner-Filialen mit über 3000 Feinkostprodukten. Sogar bis nach Hamburg hat Lindner schon expandiert. Aber die Butter kommt wie früher immer noch aus dem Fass. Seit immerhin 1980 gibt es das Wiener Conditorei Caffeehaus schon in Schmargendorf. Es ist der bekannteste Standort des Familienunternehmens, das bereits in vierter Generation seine Klientel mit Torten und Gebäck versorgt. Los ging es mit einer Konditorei neben dem Schloss Charlottenburg. Ein Wiener Caffeehaus gibt es mittlerweile auch in Dahlem, Westend und Grunewald.
Aber nirgendwo lässt sich das Stück Kuchen traditionsbewusster genießen als unter der roten Markise am Roseneck. Vom Wiener Caffeehaus – genau wie von dem benachbarten Restaurant Habel – heißt es immer gerne, dass dort die „Schönen und Reichen“ verkehren, sich „das alte West-Berlin“ trifft.
Vielleicht lässt sich das Publikum auch ganz gut anhand einer kleinen Zeitungsmeldung aus dem Oktober 2020 illustrieren. Darin hieß es, eine 84-Jährige habe beim Einparken vor dem Wiener Caffeehaus einen anderen Wagen gerammt, dann die Kontrolle über ihr Auto verloren und sei erst wieder im Gastraum des Cafés zum Stehen gekommen.
Niemand wurde zum Glück ernsthaft verletzt. Der Schaden an dem anderen Auto muss allerdings beträchtlich gewesen sein: Es handelte sich um einen Maserati.

Wir laufen nun an dem weinroten Gebäudeensemble vorbei uns treffen uns am Roseneck (Hohenzollerndamm Ecke Teplitzer Straße).

Roseneck

Station 10: Am Roseneck

Hübsch und harmlos sieht das dreieckige Rosenbeet aus, das an der Mündung der Tepitzer Straße in den Hohenzollerndamm steht. Aber das Roseneck ist Grenzgebiet.
Genau hier verläuft die Grenze von Schmargendorf. Der gewaltige orientalische Palast gleich gegenüber ist die Botschaft des Emirats Katar, die sich schon auf Grunewalder Boden befindet. Das Dreieck um die Rosen herum war einst die Wendeschleife der ersten Straßenbahn, die einst Schmargendorf mit der Ringbahn verband. Noch bis Mitte der 1950er-Jahre fuhren durch Hundekehle und Breite Straße und über den Hohenzollerndamm die Straßenbahnen nach Schmargendorf. Dann hielt die neue Zeit Einzug und die vermeintlich schnelleren Busse übernahmen. Parallel dazu wurde die neue Zeit auch an anderer Stelle am Roseneck unübersehbar.
1955 baute Berlin hier sein erstes Wohnhochhaus. 15 Stockwerke hoch, konnte das Gebäude vor allem mit seinem Y-förmigen Grundriss begeistern, der es ermöglichte, dass alle Wohnungen mindestens ein nach Süden ausgerichtetes Zimmer bekamen. Ein Platz an der Sonne für jeden Bewohner. Auch die verwendeten Baumaterialen machen aus dem Wohnhaus am Roseneck einen echten Nachkriegsbau. Der Stahlbetonbau hat eine Außenhaut aus Ziegelsplitt, der aus Trümmerschutt gewonnen wurde. Das Verfahren machte in den folgenden Jahren Schule, nachdem es hier zum ersten Mal erfolgreich erprobt worden war.
Aus Holz und aus den 1960er-Jahren ist hingegen der Kiosk, der an der Ecke zur Rheinbabenallee steht. Lange Zeit war er verfallen, bis die Schmargendorfer Initiative WIR -SIND – BERLINER ihn vor dem Abriss bewahrte und neues Leben einhauchte. Als „Platzhirschkiosk“ versorgt er nicht nur mit Kaffee und kleinen Snacks, sondern
dient auch als Treffpunkt des 2020 gegründeten Vereins. Der blumengeschmückte Kiosk ist ein sympathischer kleiner Ort zum Verweilen – in der großen Wohlfühloase Schmargendorf.

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit, kommen Sie gut nach Haus. Bis zum nächsten Mal.

  • 251. Kiezspaziergang - im Hinterhof
  • 251. Kiezspaziergang - Tafel an ehem. Synagoge Grunewald
  • 251. Kiezspaziergang - Kirstin Bauch
  • 251. Kiezspaziergang