249. Kiezspaziergang: Vom Karl-August-Platz zur Grünfeld-Ecke

249. Kiezspaziergang - Oliver Schruoffeneger

Herzlich willkommen zu unserem November-Kiezspaziergang. Mein Name ist Oliver Schruoffeneger und bin Stadtrat für Ordnung, Umwelt, Straßen und grünflächen. Ich begrüße Sie alle recht herzlich zu diesem 249. Kiezspaziergang.

Wie immer im November soll es auch in diesem Jahr vor allem um die Geschichte der jüdischen Bürgerinnen und Bürger in unserem Bezirk und um die Geschichte des Nationalsozialismus gehen.
Wir starten unseren Kiezspaziergang heute hier auf dem Karl-August-Platz.

249. Kiezspaziergang - Trinitatiskirche

Karl-August-Platz und Trinitatis-Kirche

Der Karl-August-Platz wurde 1897 nach dem Herzog und Großherzog von Sachsen-Weimar-Eisenach benannt. Karl August wurde 1757 in Weimar geboren und starb 1828 in Graditz bei Torgau. Der Blockplatz wurde am 1. November 1894 als Kirch-, Markt- und Schmuckplatz mit Rasenstücken und Gehölzen angelegt. Schon damals, kurz nach der Anlegung des Platzes, soll an der Westseite des östlich der Krummen Straße gelegenen Platzes ein Wochenmarkt zur Versorgung der Bevölkerung stattgefunden haben. Der Platz steht im Kontext mit der anliegenden Weimarer Straße und der Goethestraße sowie der Sesenheimer Straße. Von 1896 bis 1898 bauten Johannes Vollmer und Heinrich Jassoy auf dem Platz die evangelische Trinitatis-Kirche – zu der ich gleich noch kommen werde. Im August und November 1943 sowie im Februar 1944 wurde der Marktbetrieb für einige Jahre unterbrochen, da der Platz und die Kirche durch alliierte Luftangriffe zerstört wurden. Der Betrieb des inzwischen sehr beliebten Wochenmarkts wurde allerdings 1949 wieder aufgenommen. Mittwochs und -wie Sie sehen können- auch samstags bauen hier Markthändler ihre Stände auf. Bei einer Umgestaltung des Platzes wurden 1950 zwei Kinderspielplätze angelegt. Der Platz hat eine Fläche von 10.500 Quadratmetern.

Kommen wir nun zur Trinitatis-Kirche selbst

Trinitatis-Kirche
Die Evangelische Trinitatis-Kirche wurde, wie eben bereits angesprochen, 1896-98 von Johannes Vollmer und Heinrich Jassoy hier auf dem Karl-August-Platz als neugotischer Zentralbau in der Grundform des griechischen Kreuzes mit roter Ziegelverblendung erbaut. Die Einweihung erfolgte am 3. Advent 1898. Die Kirche feiert in diesem Jahr also ihr 125jähriges Jubiläum. Nach starken Kriegsschäden wurde die Kirche 1951-53 von Erich Ruhtz vereinfacht wiederhergestellt. Sie wurde am 8. März 1953 neu geweiht. 1960-69 wurde das Innere neugestaltet.

Einige der Älteren unter Ihnen werden sich vielleicht noch an den handfesten Skandal erinnern, in den die Trinitatis-Kirche Mitte der 50er-Jahre verwickelt war. Am 17. Januar 1956 erschien im Spiegel ein Artikel unter der Überschrift “Non olet” über eine bedeutende Erbschaft, die Anfang 1954 der Gemeinde zugefallen war: Hedwig Schwarzer-Erxleben hatte in ihrem Testament die Gemeinde als Haupterbin für 16 Grundstücke eingesetzt.

Ihr der Kirche vermachtes Vermögen erwarb sich die Verstorbene Hedwig Schwarzer-Erxleben allerdings aus dem Erlös, den ihr eine Anzahl von Bordellen im Berlin der 20er- und 30er-Jahre eingebracht hatten. Pfarrer Schneider verteidigte zwar temperamentvoll sich und die Tote: “Dass Frau Schwarzer-Erxleben ein verrufenes Haus gehabt haben soll, ist meiner Meinung nach nur eine üble Nachrede.”

Ihre Halbschwester Frieda Sarner, die sich bei der Erbschaft zugunsten der Kirche übergangen fühlte, wusste allerdings genauso gut wie Kenner des reichshauptstädtischen Nachtlebens der Zeit zwischen den Weltkriegen, was der Pastor nicht wissen wollte, dass nämlich Hedwig Schwarzer-Erxleben als “Vampir des Westens”, meist unter dem Tarnmantel von “Massage-Instituten” oder “Sprachschulen” betrieb und nicht nur ein, sondern bis zu fünf Etablissements mit Gewinn dirigierte.

Einem Kripo-Kommissar Kanthack kam damals der Verdienst zu, Hedwig Schwarzer-Erxleben überführt und festgenommen zu haben. Sie entzog sich jedoch gewitzt der drohenden Strafe. Ihr Chauffeur Örtl erschien im Anwaltszimmer des Moabiter Gerichtsgefängnisses und lieh sich als »Rechtsanwalt Freiherr von Egloffstein« einen Talar aus. Dann ließ er sich die Akten in Sachen Erxleben aushändigen und verschwand. Mehrere Kuppelei-Prozesse gegen seine Chefin konnten deshalb wegen Fehlens der Unterlagen nicht mehr stattfinden.

Nach Kriegsende machte die Millionärin wieder von sich reden, als sie ihre enge Freundin Salomea Maag vor der Polizei verbarg. Salomea Maag wurde damals polizeilich gesucht, weil sie nach dem 20. Juli 1944 den ehemaligen hessischen Innenminister Wilhelm Leuschner der Gestapo an den Galgen geliefert hatte.

Hedwig Schwarzer-Erxlebens Name machte 1947 ein letztes Mal die Runde durch Berlins Zeitungen, als bei einem Einbruch in ihre Wohnung Schmuck und Brillanten im Schwarzmarktwert von zehn Millionen Reichsmark abhandengekommen sein sollten. Der Einbruch wurde nie aufgeklärt, die “mutmaßlichen Täter” erhielten neun Monate Gefängnis, und der einzige Wertgegenstand aus der angeblich gestohlenen Kassette, der wieder auftauchte – eine Uhr -, verschwand später spurlos aus dem Asservatenraum der Polizei.

Wir gehen nun an der Pestalozzistraße entlang und treffen uns an der Hausnummer 14.

249. Kiezspaziergang - Synagoge Pestalozzistraße 14-15

Pestalozzistr. 14/15: Synagoge

Die beiden Häuser Pestalozzistraße 14 und 15 wurden vor dem Bau der Synagoge von der Jüdischen Gemeinde erworben und für ihre Bedürfnisse umgebaut. Erbaut wurde die Synagoge 1911/1912 als Privatsynagoge für orthodoxe Juden nach Plänen des Architekten Ernst Dorn im Hofgelände innerhalb der geschlossenen Bebauung als rotes Backsteinbauwerk in neoromanischem Stil. Ihre Stifterin war Betty Sophie Jacobsohn (1870–1942). Doch schon 1915 wurde das Gotteshaus zu einer offiziellen Synagoge der Jüdischen Gemeinde.
Trotz Brandlegung in der Pogromnacht am 9. November 1938 wurde diese Synagoge nur wenig zerstört: Wegen der Gefahr des Übergreifens der Flammen auf die benachbarten Häuser löschte die Feuerwehr hier ausnahmsweise den Brand.
1942 wurde das Gebäude zwangsenteignet. Nach dem Krieg wurde es der Jüdischen Gemeinde zurückgegeben. 1947 wurde die Synagoge nach erfolgter Renovierung wieder eingeweiht. Hier war Estrongo Nachama bis zu seinem Tod Anfang 2000 Oberkantor. Er war weit über die Grenzen Berlins hinaus bekannt und populär als großartiger Sänger und Oberkantor. Unter vielen anderen Ehrungen hat er auch die Charlottenburg-Wilmersdorfer Bürgermedaille erhalten.
Die Synagoge Pestalozzistraße ist weltweit die einzige Synagoge, deren Ritus noch vollständig aus Kompositionen des bedeutenden Synagogalkomponisten Louis Lewandowski besteht, der den Ritus des deutschen Judentums seit Mitte des 19. Jahrhunderts entscheidend prägte. Der liberale Gottesdienst mit Orgel und gemischtem Chor war ursprünglich für die Synagoge Oranienburger Straße komponiert worden. Nach der Zerstörung dieser Synagoge wurde die Tradition der liberalen deutschen Juden nach 1945 in der Synagoge Pestalozzistraße fortgesetzt.

249. Kiezspaziergang - Pestalozzistraße 10 - Stolperstein Henriette Mohr

Stolperstein vor dem Haus Pestalozzistraße 10 für Henriette Mohr

Ich möchte hier an dieser Stelle einmal betonen, was für ein Glück es ist, dass wir hier mit der Stolperstein-Initiative Charlottenburg-Wilmersdorf einen sehr aktiven Verein haben, der sich mit großem Arbeitsaufwand um die Erforschung der vielen Leben kümmert, die sich hinter den Stolpersteinen verbergen. Wer sich dafür interessiert: Gesammelt werden diese Biografien auf der Stolpersteinseite unseres Bezirksamts.

Ich möchte Ihnen auf diesem Spaziergang heute zwei dieser Biografien vorstellen. Der Stolperstein hier ist Henriette Mohr gewidmet. Wir erfahren aber auch viel über den Rest ihrer Familie, die sich zum Teil retten konnte.
Henriette Mohr wurde am 11. Dezember 1873 als Henriette Zellner in Ostrowo/Posen geboren. Sie heiratete den Kaufmann Adolf Mohr, mit dem sie zunächst in Ostrowo lebte. Dort wurde am 20. Januar 1899 ihre Tochter Margot geboren. Nicht nächste Spur Henriettes finden wir 1918 in Berlin. 1918/19 waren viele Deutsche aus der Provinz Posen nach Berlin gekommen, nachdem infolge des Aufstands der polnischen Bevölkerungsmehrheit Posen und auch Ostrowo zu Polen kamen. Laut Adressbuch wohnte Henriette 1918 schon in der Pestalozzistraße 10, die Wohnung lief auf ihren Namen. Das lässt darauf schließen, dass ihr Mann schon gestorben, vielleicht im 1. Weltkrieg gefallen war.

In der Pestalozzistraße bewohnte Henriette Mohr eine große Wohnung mit 4 ½ Zimmern im 1. Stock. Es gibt Indizien, dass sie Zimmer vermietete, da sie 1921 einmal als „Vermieterin“ im Adressbuch eingetragen war. Möglich, dass Ihre Tochter weiter in der Wohnung lebte, nachdem sie den Kaufmann Hans Foß geheiratet hatte. Margot und Hans bekamen drei Söhne, Peter, Werner und der Jüngste, Harry, der 1933 auf die Welt kam. Hans Foß bezog eine Wohnung im Gartenhaus der Pestalozzistraße 10, vielleicht war es bei Henriette zu eng geworden. Die Familie hatte zwar eine Auswanderung nach Palästina erwogen, fand aber dort die Bedingungen zu ungünstig. Laut seinem Sohn Peter habe Hans Foß gesagt „In die Wüste gehen wir nicht!“. Nur Peter, der älteste Sohn, emigrierte 1938 dorthin.

Henriette wurde 1942 in das von den Nationalsozialisten als Sammellager umfunktionierte ehemalige jüdische Altersheim in der Großen Hamburger Straße 26 eingewiesen, ihr Enkel Werner erinnert sich, wie er ihre Koffer getragen hat: „Wir haben nie wieder etwas gehört von ihr“. Am 30. Juli 1942 wurde sie nach Theresienstadt deportiert und zwei Monate später, am 26. September 1942, weiter nach Treblinka verschleppt und dort ermordet.
Margot und Hans Foß erhielten wenige Monate nach Henriette, im November 1942, den Bescheid, dass sie mit ihren Kindern Sammelstellegebracht würden. In einem Schreiben der Hausverwaltung bezüglich ihrer Untermieterin Frieda Plotke wurde nebenbei erwähnt, dass „Foss auch evakuiert“ sei. Tatsächlich aber konnte die vierköpfige Familie noch am Vorabend der Abholung bei einer Freundin, Helene von Schell, in der Moabiter Waldstraße 6 untertauchen. Helene von Schell versteckte alle vier in ihrer 1-Zimmer-Wohnung bis Kriegsende. 1996 wurde am Haus von Helene von Schell ihr zu Ehren eine „Berliner Gedenktafel“ enthüllt, 2000 wurde sie auf Initiative der Enkel von Henriette Mohr in Yad Vashem als „Gerechte unter den Völkern“ aufgenommen.

Wir treffen uns für die nächste Station an der Bleibtreustraße 2.

249. Kiezspaziergang - Bleibtreustraße 2-Ehemaliges jüdisches Bad

Bleibtreustraße 2/Ehemaliges jüdisches Bad

In der jüdischen Gemeinde in Charlottenburg spielte das Badehaus in der Bleibtreustraße 2 eine wichtige Rolle. Das traditionelle jüdische Quellbad, genannt Mikwe, diente der Reinigung von ritueller Unreinheit. Dabei ging es nicht vordergründig um Hygiene, sondern mit dem Untertauchen im Tauchbad sollte die rituelle, eigentlich kultische Reinheit hergestellt werden. Früher gehörten die Mikwes zu vielen Jüdischen Gemeinden, mittlerweile jedoch werden sie fast nur noch von Orthodoxen genutzt.

1926 hatte die Jüdische Gemeinde das 1896 errichtete Wohnhaus an der Bleibtreustraße 2 gekauft und im Jahr darauf dort das Tauchbad eröffnet. Es wurde im Erdgeschoss sowie dem Keller des Hauses eingebaut, mit je einem Regenwasser- und einem Tiefwasserbassin sowie drei Tiefbädern.
Viele Vorschriften bestimmten den Ablauf der rituellen Waschungen. Die Bäder mussten in fließendem Wasser oder in Regenwasser erfolgen. Ein Mindestinhalt des Tauchbeckens von 800 Litern und eine Tiefe von sieben Stufen waren Vorschrift. Unter dem Beten von Segenssprüchen mussten sich die Badegäste dreimal untertauchen. Die Mikwe in der Bleibtreustraße hatte zwei Klassen, mit Eintrittspreisen von 2,00 bzw. 3,50 Mark im Jahr 1931.
Die Öffnungszeiten des Bads richteten sich montags bis donnerstags nach dem Einbruch der Dunkelheit. Freitags öffnete das Bad zweieinhalb Stunden vor Beginn der Sabatfeier, die sich abhängig vom Erscheinen des Abendsterns von Woche zu Woche um eine Viertelstunde verschob.
Im Hof hinter dem Haus stand ein Regenwasserbecken zur rituellen Reinigung von Geschirr und Haushaltsgeräten.

1935 zog auch das Jüdische Wohlfahrts- und Jugendamt in das Haus, 1936 folgte die Jüdische Allgemeine Zeitung. Jedoch musste die Gemeinde das Haus 1942 zwangsweise an Erika Brümmel verkaufen, der Witwe des Bürgermeisters von Mitte, Walter Brümmel. Die Gestapo beschlagnahmte den Verkaufserlös.
Die Nazis deklarierten das Gebäude zum „Judenhaus“, in das woanders entmietete Juden zwangseinquartiert wurden. 20 Bewohnerinnen und Bewohner sind namentlich bekannt, die von dort deportiert und fast alle in Konzentrationslagern ermordet wurden. Ihre Namen und Daten sind hier auf einer Gedenktafel dokumentiert.

1943 wurde die Bleibtreustraße 2 durch alliierte Bomben größtenteils zerstört. Nach dem Krieg, ab dem Jahr 1951 versuchte die neu gegründete Jüdische Gemeinde wenigstens das „arisierte“ Grundstück zurückzubekommen. Sie (bzw. die Jewish Restitution Successor Organization, an die die Ansprüche abgegeben wurden) klagte gegen Frau Brümmel auf eine Entschädigung. Die Auseinandersetzungen zogen sich aber mehr als zwanzig Jahre hin.

Das Areal wurde danach nie wieder bebaut. 1956 richtete der Bezirk Charlottenburg auf dem mittlerweile von Trümmern befreiten Grundstück einen Kinderspielplatz ein.

Wir laufen nun erst einmal ein kleines Stück die Bleibtreustraße entlang und treffen uns an der Hausnummer 10.

249. Kiezspaziergang - Bleibtreustraße 10-Gedenktafel für Mascha Kaléko

Bleibtreustraße 10: Gedenktafel für Mascha Kaléko

An diesem Haus wurde 1990 eine Gedenktafel für Mascha Kaléko enthüllt:

“Hier lebte von 1936-1938
die Dichterin
MASCHA KALÉKO
7.06.1907-21.01.1975
Das Deutschland von damals
trieb sie ins Exil und verbot ihre Bücher.
Sie emigrierte 1938 nach New York,
lebte seit 1966 in Jerusalem.”

Sie veröffentlichte 1933 im Rowohlt Verlag ihr erstes Buch, “Das Lyrische Stenogrammheft”. 1935 folgte das “Kleine Lesebuch für Große”. Danach erhielt sie als jüdische Dichterin Schreibverbot und wurde aus der Reichsschrifttumskammer ausgeschlossen.
Mit ihrem zweiten Mann, dem jüdischen Komponisten Chemjo Vinaver, und ihrem Sohn konnte sie 1938 gerade noch rechtzeitig aus Deutschland emigrieren. In der von deutschen Emigranten in Amerika gegründeten Zeitung “Aufbau” veröffentlichte Mascha Kaléko folgendes Gedicht:
“Ich bin, vor jenen ‘tausend Jahren’
Viel in der Welt herumgefahren.
Schön war die Fremde, doch Ersatz.
Mein Heimweh hieß Savignyplatz.”

Für die nächste Station laufen wir bitte bis zum Else-Ury-Bogen.

249. Kiezspaziergang -Else-Ury-Bogen

Else-Ury-Bogen

1999 wurde diese Passage vom Savignyplatz zur Bleibtreustraße nach Else Ury benannt. Sie hat von 1905 bis 1933 unweit von hier in dem Haus Kantstraße 30 gelebt. Dort erinnert seit 1995 eine Gedenktafel an sie. Der Text lautet:

“In diesem Hause lebte von 1905 bis 1933
die Schriftstellerin
Else Ury
1.11.1877 – 12.1.1943
Die Verfasserin der Nesthäkchen-Romane
Wurde 1935 aus der
Reichsschrifttumskammer ausgeschlossen
1943 wurde sie nach Auschwitz deportiert
und dort umgebracht”

Sie war das dritte von vier Kindern einer liberal-bürgerlichen Fabrikantenfamilie. 1905 zog die Familie in die Kantstraße 30 um.
Hier entstanden ihre Erfolgsbuchreihen über “Nesthäkchen” mit einer Auflage von 5 Millionen und “Professor Zwilling” mit einer Auflage von 7 Millionen. Else Ury wurde damit zur Lieblingsautorin mehrerer Mädchengenerationen. Von 1933 bis 1939 lebte sie am Kaiserdamm 24. 1935 wurde sie als Jüdin aus der Reichsschrifttumskammer ausgeschlossen. Die 65jährige wurde am 12. Januar 1943 vom Bahnhof Grunewald aus deportiert, am 13. Januar im Konzentrationslager Auschwitz als arbeitsunfähig eingestuft und am selben Tag in der Gaskammer ermordet.

Nun geht es für uns weiter zum Savignyplatz.

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Savignyplatz

Für viele ist der Savignyplatz das eigentliche Zentrum Charlottenburgs. Hier im Umkreis gibt es jede Menge Restaurants, Bars, Cafés, Jazzclubs und Buchläden. Der Bücherbogen hier ist wohl die profilierteste Kunst- und Architekturbuchhandlung Berlins. Die S-Bahn-Bögen sind restauriert und vermietet.
1896 wurde der S-Bahnhof Savignyplatz eröffnet, und er wurde zum Ausgangspunkt für eine starke Bautätigkeit, wie bereits zuvor schon die Bahnhöfe Zoologischer Garten seit 1882 und Charlottenburg am Stuttgarter Platz seit 1890. Dieses Stadtviertel entstand also kurz vor dem Beginn des 20. Jahrhunderts als Teil der westlichen City rund um den Kurfürstendamm.
Benannt wurde der Platz 1887 nach dem Juristen Friedrich Karl von Savigny, der von 1779 bis 1861 lebte.
Der Blockplatz wird von drei Straßen durchkreuzt, wobei die Kantstraße als größte Straße in Ost-West-Richtung den Platz teilt. Im Jahr 1892 erhielt der Savignyplatz eine durch die Kantstraße in zwei Hälften geteilte Grünanlage nach Entwürfen des städtischen Garteninspektors Ludwig Neßler, die 1926 von Erwin Barth zu einem Garten- und Erholungsplatz umgestaltet wurde. Sie ist eine gewidmete öffentliche Grün- und Erholungsanlage und ist als Gartendenkmal geschützt.

Stolperstein für Bertha Fiedler

Stolperstein Bertha Fiedler/Kantstraße 148

Hier stoßen wir wieder auf einen Stolperstein, zu dem es eine Geschichte gibt. Bertha Fiedler wurde als Bertha Bernfeld am 23. Juni 1867 in Pressburg (Bratislava) geboren. Sie wohnte als Witwe mindestens seit 1922 in der Kantstraße 148 im Seitenflügel im 4. Stock.
Ihr gestorbener Ehemann war möglicherweise Postangestellter, vielleicht hat sie auch selbst bei der Post gearbeitet. Jedenfalls bekam sie von der Reichsversicherung für Angestellte der Post monatlich 49,50 Reichsmark. Damit konnte sie gerade die Miete von 48 Mark bestreiten, so dass es sehr wahrscheinlich ist, dass sie Untermieter hatte. In der Vermögenserklärung waren keine angegeben, auch keine Vermögens- oder Sachwerte. Dennoch gab es eine Inventarschätzung, in der unter anderem zwei Betten und zwei Schränke aufgeführt sind: auch das spricht für Untervermietung. Bertha Fiedlers Habe wurde auf 175.- Mark geschätzt und für 122.50 RM vom Einzelhändler Wilhelm Hahn aufgekauft. Die Vermögenserklärung unterschrieb Frau Fiedler am 22. Juli 1942, die Verfügung der Geheimen Staatspolizei über den “Einzug” ihres Besitzes wurde ihr am 29. Juli im Sammellager Große Hamburger Straße 26 (ehemaliges Jüdisches Altersheim) zugestellt. Tags darauf, am 30. Juli 1942, wurde sie vom Gleis 17 des Bahnhofs Grunewald zusammen mit 100 Schicksalsgefährten nach Theresienstadt deportiert. Dort ist sie wenige Tage später, am 17. August 1942, im Alter von 75 Jahren ermordet worden.

249. Kiezspaziergang - Kantstraße 158 Kant-Dreieck

Kantstraße 158: Kant-Dreieck, ehem. Haus der zentralen jüdischen Organisationen

Auf dem Gelände des heutigen Kant-Dreiecks an der damaligen Kantstraße 158 befand sich von 1928 bis 1943 das Haus der zentralen jüdischen Organisationen. Zunächst hatte dort der 1922 gegründete Preußische Landesverband jüdischer Gemeinden PLV hier seinen Sitz. 1933 zog die Reichsvertretung der deutschen Juden in das Gebäude ein. Präsident war der Rabbiner Leo Baeck. Dazu kamen der Jüdische Frauenbund e.V. und mehrere Wohlfahrtseinrichtungen wie die Zentralstelle für jüdische Wohlfahrtshilfe, die Vereinigte Zentrale für jüdische Arbeitsnachweise und die Zentralstelle für die jüdischen Darlehenskassen.
Von hier aus versuchte die Reichsvereinigung bzw. Reichsvertretung der deutschen Juden trotz zunehmender Diskriminierungen und Verfolgungen durch das NS-Regime die jüdische Schulverwaltung zu organisieren, Auswanderungen zu fördern und den jüdischen Auswanderern eine geeignete Ausbildung zukommen zu lassen. Außerdem ging es darum, die jüdische Wohlfahrtspflege aufrechtzuerhalten und den jüdischen Bürgern Arbeitsplätze zu vermitteln oder zu erhalten.
Auch die anderen im Haus ansässigen Organisationen versuchten mit eigenen Mitteln, den immer mehr entrechteten und verarmten Jüdinnen und Juden zu helfen – anfangs noch beim Aufbau einer neuen kleinen Existenz, nachdem sie von ihren Arbeitgebern entlassen worden waren. Später ging es nur noch darum, die Auswanderung zu organisieren, einen Start im Ausland zu erleichtern und diejenigen zu versorgen, die trotz der katastrophalen Lebensbedingungen nicht emigrieren konnten oder wollten.
Das Palästina-Amt der Jewish Agency for Palästina, dessen Aufgabe in der Betreuung und Förderung der Auswanderung nach Palästina bestand, zog 1938 aus der Meinekestraße 10 ebenfalls in das Haus der zentralen jüdischen Organisationen.
Im Juni 1943 schloss die Gestapo das Haus und beschlagnahmte das gesamte jüdische Vermögen.

249. Kiezspaziergang - Fasanenstr.79-80 Synagoge und Haus der Jüdischen Gemeinde

Fasanenstr.79/80 Synagoge und Haus der Jüdischen Gemeinde

1910-1912 baute Ehrenfried Hessel hier die große Synagoge der Jüdischen Gemeinde Charlottenburg als dreischiffigen Monumentalbau mit drei Kuppeln und einem Tonnengewölbe. Stilistisch orientierte sich das Haus an frühchristlich-byzantinischen Kirchenbauten. Die Synagoge bot 2.000 Menschen Platz. Sie wurde am 26. August 1912 eingeweiht. Kaiser Wilhelm II kam zwar nicht zur Einweihung, aber er besuchte die Synagoge einige Tage danach. Es war die erste große Synagoge außerhalb des alten Berlins, und neben der Synagoge in der Oranienburger Straße war es die berühmteste in Berlin. Sie kündete vom Selbstbewusstsein des liberalen jüdischen Bürgertums: Nicht mehr versteckt im Hinterhof wie die nur wenige Jahre zuvor geweihte Synagoge in der Rykestraße, sondern als sichtbares Zeichen im Stadtbild. Von 1912 bis 1938 war Julius Galliner Gemeinderabbiner.
In der Pogromnacht vom 9. November 1938 wurde die Synagoge angezündet und brannte aus.
Der ehemalige Direktor des Jüdischen Museums, Michael Blumenthal, hat den 9. November 1938 als 12-Jähriger erlebt:
“Unser Geschäft wurde in der Nacht vom 9. auf den 10. November 1938 demoliert; meine Mutter ging gleich in der Früh los, um zu retten, was vielleicht noch zu retten war. Ich hatte strikte Anweisung, das Haus nicht zu verlassen. Aber ich war zu aufgeregt und musste einfach sehen, was los war. Ich rannte den Kurfürstendamm entlang zur Synagoge in der Fasanenstraße. Überall standen Neugierige und starrten auf die unvorstellbare Verwüstung. Jedes jüdische Geschäft war demoliert worden, die Bürgersteige waren mit Glasscherben übersät, Läden waren geplündert und einige in Brand gesteckt worden. Aus Richtung der Synagoge sah man Rauchwolken aufsteigen. Den Anblick, der mich dort erwartete, habe ich nie vergessen. Der schönste Tempel von Berlin war nur noch eine rauchende Ruine, Schutt lag auf der Straße, und die Feuerwehr sorgte bloß dafür, dass das Feuer nicht auf die benachbarten Gebäude übergriff. Eine große Menschenmenge stand hinter den Polizeiabsperrungen und schaute stumm zu.
Der Anblick war sogar für ein Kind meines Alters unheimlich; ich hatte zum ersten Mal richtig Angst, macht kehrt und rannte nach Hause. Vor einigen jüdischen Geschäften versuchten die Eigentümer, Schutt und Glasscherben zusammen zu kehren. Niemand half ihnen, die Menschen schauten hin und gingen weiter; sie schienen angesichts dessen, was sie sahen, ebenso sprachlos und verstört zu sein wie ich selbst.”

Blumenthal emigrierte 1939 zunächst nach Shanghai, dann in die USA.

1957/58 wurde die Ruine abgerissen. Erhalten blieben nur das Hauptportal und eine Pilasterreihe, die Dieter Knoblauch und Hans Heise 1958-60 in das neue Jüdische Gemeindehaus integrierten.

Heute befindet sich hier die Bibliothek der Jüdischen Gemeinde zu Berlin. Sie wurde 1898 gegründet und öffnete ihre Tore 1902 im Verwaltungsgebäude der Gemeinde in der Oranienburger Straße. Sie besaß ein breites wissenschaftlich-populäres Profil und stand jüdischen wie nicht-jüdischen Lesern offen. Als das NS-Regime die Jüdische Gemeinde 1943 auflöste und die Bibliothek ihre Tätigkeit einstellen musste, hatte die Bibliothek neun Außenstellen und umfasste etwa 100.000 Bände. Ihr gesamter Buchbestand ging – von wenigen Ausnahmen abgesehen – im Krieg verloren.
Im Jahre 1959 wurde mit dem Neuaufbau der Bibliothek im Gemeindehaus der Jüdischen Gemeinde zu Berlin in der Fasanenstraße begonnen. Erworben wurden Veröffentlichungen zur jüdischen Religion, Geschichte, und Kultur. Nach der Vereinigung der Jüdischen Gemeinde im Jahr 1989 kam die 1974 gegründete Bibliothek aus der Oranienburger Straße dazu. In der Tradition der Bibliothek der Vorkriegszeit ist die Bibliothek der Jüdischen Gemeinde zu Berlin eine Einrichtung zur Pflege, Erforschung und Erhaltung des jüdischen Erbes und Kultur und ist der gesamten Öffentlichkeit zugänglich.
Zudem befindet sich hier in diesem Gebäude die Jüdische Volkshochschule Berlin. Das Ziel ist, ein breites Publikum über das Judentum und über Israel zu informieren. Zudem dient es den Gemeindemitgliedern als Ort des Austauschs und des Studiums. Aber auch Hochzeiten, Bar und Bat Mizwot sowie Zusammenkünfte zu den Feiertagen finden hier statt.

249. Kiezspaziergang - Fasanenstraße Ecke Kurfürstendamm 27 Kempinski

Fasanenstraße Ecke Kurfürstendamm 27 Kempinski

1994 hat Fritz Teppich, ein Nachkomme der Familie Kempinski durchgesetzt, dass an dem Hotel eine Gedenktafel angebracht wurde. Die Messingtafel ist links neben dem Eingang zu sehen.
Der Text lautet:
HIER STAND SEIT 1928 EIN
KEMPINSKI-RESTAURANT.
ES WAR EIN WELTWEIT
BEKANNTES SYMBOL
BERLINER GASTLICHKEIT.
WEIL DIE BESITZER JUDEN
WAREN, WURDE DIESE
BERÜHMTE GASTSTÄTTE
1937 “ARISIERT”,
UNTER ZWANG VERKAUFT.
ANGEHÖRIGE DER
FAMILIE KEMPINSKI
WURDEN UMGEBRACHT,
ANDERE KONNTEN FLIEHEN.
DAS 1952 ERÖFFNETE
BRISTOL HOTEL KEMPINSKI
MÖCHTE, DASS DAS SCHICKSAL
DER GRÜNDERFAMILIE
NICHT VERGESSEN WIRD

Nun geht es für uns auch schon zur letzten Station. Wir treffen uns dafür am ehemlige Joachimsthaler Platz, der seit drei Tagen Grünfeld-Ecke heißt.

Umbenennung Grünfeld-Ecke - Tafel

Grünfeld-Ecke/ehem. Joachimsthaler Platz

Das Bezirksamt hat in seiner Sitzung 21. Februar 2023, die Umbenennung für den Joachimsthaler Platz in Grünfeld-Ecke beschlossen. Am vergangenen Mittwoch haben wir den Platz gemeinsam mit dem Einzelhandelsverband öffentlich umbenannt.
Die Familie Grünfeld installierte im Jahre 1873 nicht nur den ersten Versandhandel, Heinrich Grünfeld, war später ab 1919 auch der Gründungspräsident der Hauptgemeinschaft des Deutschen Einzelhandels, bis er dieses Amt im Jahr 1933 aufgab.
Statt des halbrunden Gebäudes, in dem sich heute C&A im Sockel befindet, eröffnete Grünfeld 1928 eine sehr markante Filiale seines Wäschehauses Grünfeld. Das Stammhaus befand sich in der Leipziger Straße – dort setzte man auf Tradition, hier am Kurfürstendamm auf Moderne mit einer gläsernen Schaufensterfront und einem gläsernen Fahrstuhl, beides damals absolute Neuheiten. Hier kaufte die Prominenz aus Film, Theater, Musik, aus der Kunst- und Modewelt und Touristen aus dem Ausland. Die “Grünfeld-Ecke” wurde schon damals schnell zum Begriff in Berlin.

Fritz Grünfeld hat in seinen Erinnerungen beschrieben, wie er das Problem löste, als er im Jahr der Olympiade 1936 aufgefordert wurde, das Haus zu beflaggen: “Ein unbeflaggtes Haus an dieser prominenten Ecke hätte das ‘Anderssein’ des jüdischen Unternehmens zu deutlich gemacht. Andererseits konnten wir auch nicht die Hakenkreuzfahne hissen. So kam ich auf den Gedanken, die ganze attraktive Fassade mit Wimpeln wie bei einer Regatta ausschmücken zu lassen – und zwar abwechselnd in den zwei Farben “Wäsche-Weiß” und “Grünfeld-Blau”. Das waren auch die Farben der zionistischen Bewegung. Sehr festlich wirkte der Anblick auf die Besucher der Olympiade zu Berlin”.
Im Jahr darauf, 1937, wurde das 75jährige Firmenjubiläum in großem Rahmen begangen. Unmittelbar nach diesem Erfolgs-Jubiläum begann im Jahr 1938 das Kesseltreiben gegen die Firma mit einer Hetzkampagne des Stürmers, der vor dem Kauf bei Grünfelds warnte. Danach wurde das Personal unter Druck gesetzt, Grünfeld zu verlassen. Die Presse druckte keine Anzeigen mehr, und Lieferanten boykottierten die Firma auf staatlichen Druck hin, die Banken sperrten die Kredite. Die Firma war nicht mehr zu halten. Die Grünfelds mussten einen Käufer suchen. Walther Kühl, Inhaber der Berliner Einzelhandelsfirma Max Kühl, kaufte das Unternehmen weit unter Wert. Und selbst dieser Verkaufserlös wurde der Familie Grünfeld von den deutschen Behörden wieder abgenommen, bevor sie – gerade noch rechtzeitig – nach Palästina auswandern konnte.
Am 15. Oktober 1938 meldete die “Textil-Zeitung”: “Grünfeld in arischem Besitz!” Das Haus Grünfeld wurde zunächst von Kühl weitergeführt, im Krieg beschlagnahmt und als Heereskleiderkasse zur Lagerung und Ausgabe von Uniformen benutzt. In den letzten Kriegstagen im April 1945 wurde das Gebäude von SS-Leuten angezündet, wahrscheinlich um zu verhindern, dass der Feind in den Besitz der Uniformen gelangte.