243. Kiezspaziergang: Durch die Gedenkregion Charlottenburg-Nord

Besucher des Kiezspaziergangs vor der Gedenkkirche Maria Regina Martyrum

Besucher des Kiezspaziergangs vor der Gedenkkirche Maria Regina Martyrum

Sehr geehrte Damen und Herren!
Herzlich willkommen zu unserem 243. Kiezspaziergang. Ich bin Kulturstadträtin Heike Schmitt-Schmelz und freue mich, Sie heute auf dem Pfad der Erinnerung zu begleiten.
Der Spaziergang steht in diesem Monat im Zeichen der Menschen, die dem Nationalsozialismus zum Opfer gefallen sind und vor allem denjenigen, die den Mut aufgebracht haben, Widerstand zu leisten. Ein Ort, der vor 60 Jahren zu diesem Gedenken gebaut worden ist, ist die Kirche Maria Regina Martyrum, zu der wir gleich mehr hören werden.

Pfad der Erinnerung - Infostele

Pfad der Erinnerung - Infostele

1. Pfad der Erinnerung

Einige kennen den „Pfad der Erinnerung vielleicht schon: Der Weg wurde vor fünf Jahren 2018 in der Gedenkregion Charlottenburg-Nord vom Bezirksamt Charlottenburg-Wilmersdorf mit Hilfe von Fördermitteln der Senatswirtschaftsverwaltung für besondere touristische Projekte realisiert. Er stellt eine Verbindung her zwischen der Sühne-Christi-Kirche an der Toeplerstraße, der katholischen Kirche Maria Regina Martyrum als nationaler Gedenkkirche des deutschen Katholizismus am Heckerdamm 230, der evangelischen Gedenkkirche Plötzensee am Heckerdamm 226 und der Gedenkstätte Plötzensee am Hüttigpfad. Der Weg führt durch Neubaugebiete von Charlottenburg-Nord, die sich sowohl geografisch wie auch bauhistorisch an die weiter östlich gelegene Welterbe-Siedlung Siemenstadt anschließen. Im August 2019 sagte die Senatsverwaltung für Wirtschaft, Energie und Betriebe dem Bezirk Fördermittel der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur“ (GRW) zum touristischen Ausbau des Pfads der Erinnerung mit neuen Informationsstelen zu. Diese Stelen sollen Besuchern eine Übersicht zu den einzelnen Institutionen und zu der Gesamtthematik Widerstand im Dritten Reich geben.

Gedenkkirche Maria Regina Martyrum

Gedenkkirche Maria Regina Martyrum

2. Gedenkkirche Maria Regina Martyrum

Wir treffen uns heute hier an der Gedenkkirche Maria Regina Martyrum, weil die 1963 eingeweihte Gedenkkirche der deutschen Katholiken, die den »Blutzeugen für Glaubens- und Gewissensfreiheit während der NS-Zeit« gewidmet wurde, in diesem Jahr ihr 60-jähriges Jubiläum feiert. 1984 wurde hier zudem ein Kloster gegründet. Die Karmelitinnen leben, arbeiten und beten direkt neben der Gedenkkirche.
Ich freue mich sehr, dass Schwester Mirjam uns heute hier empfängt und uns etwas zu ihrem Orden und zur Kirche sagen wird.

Vielen Dank. Für uns geht es nun ein kleines Stück weiter.

3. Informationsstele Heckerdamm/Bernhard-Lichtenberg-Straße: Zwangsarbeiterlager in der NS-Zeit

Ich möchte sie bitten noch kurz einen Blick nach rechts zu werfen. Sie können an der Kreuzung zur Bernhard-Lichtenberg-Straße eine der zehn erwähnten Stelen sehen. Sie erinnert an ein Zwangsarbeiterlager der Nationalsozialisten. In der NS-Zeit befanden sich auf dem Gelände der heutigen Paul-Hertz-Siedlung große Barackenlager der benachbarten Siemens-Schuckertwerke. Anfang der 1940er-Jahre war fast die Hälfte der Arbeiterinnen und Arbeiter in den Werken zwangsweise beschäftigt: Die Menschen waren vor allem Kriegsgefangene aus West- und Osteuropa und ab 1944 auch KZ-Häftlinge aus Ravensbrück und Sachsenhausen. Wie der Siemenskonzern profitierten die meisten Berliner Betriebe von Zwangsarbeit. Nur dadurch konnten in den Kriegsjahren die Rüstungsproduktion, aber auch die Versorgung der Bevölkerung aufrechterhalten werden.

Die Bernhard-Lichtenberg-Straße erinnert an den Priester und Berliner Dompropst, der während der nationalsozialistischen Diktatur öffentlich für die Verfolgten eintrat. Von 1913 bis 1930 war er Pfarrer der Herz-Jesu-Gemeinde in Charlottenburg. Bereits 1931 hetzte Joseph Goebbels, seit 1926 Gauleiter der NSDAP für Groß-Berlin und seit 1930 Reichspropagandaleiter, gegen Lichtenberg, da dieser zum Besuch des Anti-Kriegsfilms „Im Westen nichts Neues“ nach dem Roman von Erich Maria Remarque, aufgerufen hatte. Bereits 1933 durchsuchte die geheime Staatspolizei erstmals Lichtenbergs Wohnung. Dompropst Lichtenberg ließ sich jedoch nicht einschüchtern. Als ihm der ehemalige Abgeordnete und Geschäftsführer der SPD-Fraktion im preußischen Landtag, Jürgen Jürgensen, 1935 einen Bericht über die Zustände im KZ Esterwegen übermittelte und von den schweren Misshandlungen Gefangener berichtete, protestierte Bernhard Lichtenberg in einer Beschwerdeschrift. Erst nach zwei Erinnerungsschreiben erhielt Lichtenberg eine briefliche Antwort von Werner Best als stellvertretender Leiter der Gestapo und eine Stellungnahme des Leiters des KZ Esterwegen, Theodor Eicke. Diese Schreiben offenbarten in deutlicher Form das Ende des Rechtsstaats. In der Folge wurde Lichtenberg wegen „Verbreitung von Greuelpropaganda“ im Gebäude der Gestapo verhört und misshandelt, um die Quelle seiner Informationen zu erfahren. Er gab diese jedoch nicht preis. Während des Transportes in das Konzentrationslager Dachau machte der Zug am 3. November einen Zwischenstopp in der Stadt Hof. 200 Gefangene, darunter Bernhard Lichtenberg, wurden in einem Lastwagen in ein Gefängnis gebracht. Der Gefängnisleiter wurde auf Bernhard Lichtenberg aufmerksam und sorgte dafür, dass der schwer Herz- und Nierenkranke Geistliche am 4. November 1943 in das städtische Krankenhaus in Hof überwiesen wurde, wo er noch am selben Tag durch den Hofer Stadtpfarrer Prälat Michael Gehringer die Krankensalbung empfing. Am 5. November 1943 starb Lichtenberg.

Evangelisches Gemeindezentrum Plötzensee

Evangelisches Gemeindezentrum Plötzensee

4. Evangelische Gedenkkirche Plötzensee Heckerdamm 226

Wir stehen hier nun vor der Evangelische Gedenkkirche Plötzensee. Ich denke, der größte Spezialist für die Geschichte und Bedeutung dieser Kirche sowie der Gedenkregion hier im Charlottenburger Norden ist Pfarrer Michael Maillard. Ich freue mich, dass sie uns heute hier empfangen.
Das Gemeindezentrum wurde zwischen 1968 und 1970 für die Bewohner des Neubaugebietes Paul-Hertz-Siedlung errichtet. Der Entwurf stammt von den Architekten Gerd Neumann, Dietmar Grötzebach und Günther Plessow. Der Komplex umfasst eine Kapelle, eine Kindertagesstätte, einen Gemeinschaftsraum, einen Jugendclub, Wohnungen und Büros.
Der Kirchenraum wurde von Anfang an als Gedächtniskapelle konzipiert. Alfred Hrdlicka gestaltete für ihn den Plötzenseer Totentanz. Auf 16 Tafeln thematisiert Hrdlicka den mittelalterlichen Totentanz und verweist damit auf die aktuelle Bedrohung von Menschen und Staaten durch Gewalt, Macht und Willkür.
Architektonisch greift der Raum die Ideen der Reformationskirche der 1960er Jahre auf: Kirchenbänke sind quadratisch um einen zentralen Altar angeordnet, so soll sich die Gemeinde als Gemeinschaft erfahren und am Gottesdienst teilnehmen.
Mit der benachbarten römisch-katholischen Gedenkkirche Maria Regina Martyrum besteht eine enge Zusammenarbeit in der Gedenkarbeit. Die größte ökumenische (=ganzheitliche) Gedenkveranstaltung der nahegelegenen Kirche ist die Veranstaltungsreihe „Ökumenische Plötzensee-Tage“. Seit Sommer 2009 entsteht im Gemeindezentrum Plötzensee die Ökumenische Gedenkstätte „Christ und Widerstand“.

5. Kreuzung Heckerdamm und Reichweindamm zur Infostele "Widerstand im Nationalsozialismus"

Wir befinden uns in der Paul-Hertz-Siedlung, östlich des Kurt-Schumacher-Damms. Die Siedlung trägt den Namen des 1961 verstorbenen SPD-Politiker Paul Hertz, der sich nach dem Zweiten Weltkrieg für den Wiederaufbau im damaligen West-Berlin eingesetzt hatte. Die Siedlung wurde zwischen 1961 und 1965 nach Plänen von Wils Ebert, Werner Weber und Fritz Gaulke auf dem ehemaligen Kleingartenland am Heckerdamm, für die GEWOBAG errichtet. Sie gehörte zusammen mit der westlich anschließenden Siedlung Charlottenburg-Nord zu einem Planungsgebiet, dessen Strukturmerkmal der freien Stellung der Baukörper zueinander ohne direkten Bezug zur Straße als Musterbeispiel für die damaligen Vorstellungen von der “aufgelockerten Stadt” gilt. Wegen der Luftsicherheit verlangte die alliierte Flugsicherheitsbehörde, die ursprünglich vorgesehenen dreizehn Stockwerke der Hochhäuser auf acht zu reduzieren. 1993-96 folgte dann die Gebäudeaufstockung trotz heftigsten Mieterprotestes. In vier- und achtgeschossigen Häusern wurden über 2600 Wohnungen gebaut.

Die Straßen in diesem Stadtviertel wurden nach Widerstandskämpfern gegen die NS-Herrschaft benannt. So ist auch der Reichweindamm nach dem Pädagogen Adolf Reichwein benannt worden, der Widerstand gegen das NS-Regime leistete. Reichwein wurde am 3. Oktober 1898 in Ems geboren. In den 1920er-Jahren war er in Berlin und Thüringen in der Bildungspolitik und Erwachsenenbildung tätig. Er wirkte in der Zeit von 1929 bis 1930 als Leiter der Pressestelle und persönlicher Referent des preußischen Kultusministers Carl Heinrich Becker. Von 1930 bis 1933 war Reichwein Professor an der neu gegründeten Pädagogischen Akademie Halle (Saale). Nach der nationalsozialistischen „Machtergreifung“ wurde er aus politischen Gründen entlassen. Er gehörte als Mitglied des Kreisauer Kreises zum Widerstand gegen Hitler und war als Kultusminister im Falle eines erfolgreichen Umsturzes des Regimes vorgesehen.
Der deutsche SPD-Politiker, Reichstagsabgeordnete und Widerstandskämpfer Julius Leber und Reichwein trafen sich am 22. Juni 1944 in Berlin mit führenden Mitgliedern der kommunistischen Saefkow-Jacob-Bästlein-Organisation, unter denen sich der Gestapo-Spitzel Ernst Rambow befand. Das Ziel des Treffens bestand aus Sicht von Leber und Reichwein darin, die Kommunisten in die Verschwörung des 20. Juli 1944 einzubinden und für eine neue staatliche Ordnung zu gewinnen. Diese Bestrebungen erfolgten mit Wissen und in Absprache mit dem deutschen Berufsoffizier der Wehrmacht Claus Schenk Graf von Stauffenberg. Das Gespräch mit den Berliner Kommunisten Anton Saefkow und Franz Jacob soll sehr konstruktiv verlaufen sein. Auf dem Weg zu einem erneuten Treffen mit den Kommunisten am 4. Juli 1944 wurde Reichwein von der Gestapo verhaftet und nach einem Prozess unter Roland Freisler vor dem „Volksgerichtshof“ am 20. Oktober 1944 im Strafgefängnis Berlin-Plötzensee gehenkt.

Nun folgt wieder ein etwas längeres Stück Spaziergang: Wir treffen uns an der Ecke Heckerdamm/Thaters Privatweg.

Heike Schmitt-Schmelz vor Thaters Privatweg: Zwangsarbeiterlager während der NS-Zeit, Kolonie Pferdemarkt

Heike Schmitt-Schmelz vor Thaters Privatweg: Zwangsarbeiterlager während der NS-Zeit, Kolonie Pferdemarkt

6. Infostele Heckerdamm/Thaters Privatweg: Zwangsarbeiterlager während der NS-Zeit, Kolonie Pferdemarkt

Auf dem heutigen Gelände der Kleingartenkolonie Pferdemarkt gab es Anfang der 1940er-Jahre ein Wohnbarackenlager. Die Stadtentwässerungsanstalt Berlin stellte 1940 einen Bauantrag zur Unterbringung von etwa 350 »auswärtigen Arbeitern«, die für sie arbeiten sollten. Baupläne, Dokumente und ein Luftbild zeugen von dem weithin unbekannten Lager. In den Kriegsjahren 1939 bis 1945 gab es nach heutigem Wissensstand in Berlin etwa 3000 Barackenlager und andere Unterkünfte für circa 500.000 Männer und Frauen, die Zwangsarbeit leisten mussten. Schon bei geringsten Vergehen drohten harte Strafen. Viele, vor allem ausländische Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter wurden in Plötzensee nach Unrechtsurteilen der NS-Justiz hingerichtet.

Auf dem Gebiet der heutigen Kolonie Pferdemarkt befand sich von 1907 bis 1936 tatsächlich der städtische Pferdemarkt Berlins. Die Kolonie Olympia erinnert an eine Radrennbahn, die hier um 1900 für die Olympischen Spiele, die 1916 in Berlin geplant waren, wegen des Ersten Weltkriegs jedoch ausfielen, gebaut wurde. Die Rennbahn wurde im Zweiten Weltkrieg durch ein abgestürztes Flugzeug teilweise zerstört und in den 50er-Jahren abgetragen.
Hinter den Laubenkolonien im Norden ragen Gewerbe- und Bürobauten auf, die in den 80er-Jahren auf der sogenannten Speerplatte am Saatwinkler Damm errichtet wurden. 1878 hatte der bekannteste Berliner Eisproduzent Carl Thater das Gelände gekauft und seine Eiswerke zur Produktion von Natureis errichtet. In den 30er-Jahren musste die Familie ihre Grundstücke an das Deutsche Reich verkaufen, 1939 wurden die Eisteiche verfüllt, und 1940 ließ Albert Speer hier eine riesige Betonplatte bauen, die dem Fuhrpark der Organisation Todt als Abstellfläche diente. Auch einige Kasernen wurden errichtet.

Nach dem Krieg wurde das Gelände bis auf das Kommandeursgebäude abgeräumt und seit 1955 als Kohle-Bevorratungslager genutzt. Seit dem Chruschtschow-Ultimatum von 1958 wurde hier eine Senatsreserve von 200.000 Tonnen Kohlen gelagert. Im Kommandeursgebäude entstand provisorisch eine Grundschule für die Kinder aus Charlottenburg-Nord, die so genannte Bunkerschule. In der Schulverwaltung sprach man damals vom “Sibirien Charlottenburg”, wenn von der Schule und dem umliegenden Gelände die Rede war. Mit dem 1965 eröffneten Neubau der Helmuth-James-von-Moltke-Schule hatte dieses Provisorium ein Ende. Heute befinden sich auf dem Gelände Baumärkte, Gewerbehöfe und Bürobauten.

Wir laufen weiter bis zum Heckerdamm Ecke Friedrich-Olbricht-Damm.

7. Infostele Heckerdamm/Friedrich-Olbricht-Damm: Widerstand im Nationalsozialismus

Wir befinden uns nun an der Infostele Heckerdamm/Friedrich-Olbricht-Damm.
Der Königsdamm vor dem Haupteingang des ehemaligen Strafgefängnisses Plötzensee wurde 1971 umbenannt: Namensgeber wurde General Friedrich Olbricht, der maßgeblich am Umsturzversuch vom 20. Juli 1944 beteiligt war. Friedrich Olbricht wurde am 4. Oktober 1888 in Leisnig, Sachsen geboren und war ein deutscher General der Infanterie. Nach dem im März 1944 fehlgeschlagenen Versuch, Hitler durch ein Sprengstoffattentat in seinem Flugzeug zu beseitigen, wurde der seit 1941 für den Fall innerer Unruhen bestehende „Walküre“-Plan für den Umsturz umfunktioniert. Olbricht beteiligte sich maßgeblich an der Organisation der Widerstandskreise um Generaloberst Ludwig Beck, Carl Friedrich Goerdeler und Generalmajor Henning von Tresckow und an den konkreten Planungen zum Attentat auf Adolf Hitler. So forderte er 1943 Oberst Claus Schenk Graf von Stauffenberg, den späteren Attentäter des 20. Juli 1944, und kurz darauf Albrecht Ritter Mertz von Quirnheim als Mitarbeiter an. Am Tage des Umsturzversuches löste er mit Oberst Albrecht Mertz von Quirnheim den für den Fall inneren Unruhen vorbereiteten „Walküre“-Plan zur Mobilmachung des Ersatzheeres aus. Nach dem Scheitern wurde er in der Nacht vom 20. auf den 21. Juli 1944 auf Veranlassung von Generaloberst Friedrich Fromm, der seine eigene Mitwisserschaft zu verschleiern versuchte, im Hof des Bendlerblocks in Berlin gemeinsam mit von Quirnheim, von Stauffenberg und von Haeften standrechtlich erschossen. Olbrichts Leiche wurde, zusammen mit weiteren Opfern des 20. Juli auf dem Alten St.-Matthäus-Kirchhof in Berlin-Schöneberg begraben. Wenig später wurden die Toten von der SS exhumiert, im Krematorium Wedding verbrannt und die Asche auf Rieselfeldern verstreut.

Wir laufen nun den Friedrich-Olbricht-Damm entlang und treffen uns an der Hausnummer 16 – der Justivvollzugsanstalt

Stele vor dem ehemaligen Strafgefängnis Plötzensee

8. Ehemaliges Strafgefängnis Plötzensee

Wir stehen nun vor dem ehemaligen Strafgefängnis Plötzensee. Bereits seit 1887 war das Strafgefängnis ein Ort für die Vollstreckung der Todesstrafe im deutschen Kaiserreich. Die damalige Adresse Königsdamm 7 ist in den Sterbebüchern des Standesamts von Charlottenburg oft die letzte Spur von Menschen, die hier zwischen 1933 und 1945 nach Unrechtsurteilen der NS-Justiz ermordet wurden.
Heute sind neben dem Torhaus, der Gefängniskirche, dem Kessel- und dem Maschinenhaus auch frühere Zellentrakte erhalten. Am Heckerdamm sind die einstigen Beamtenwohnhäuser zu sehen, die vor der Gefängnismauer errichtet wurden.

Das damals größte Gefängnis Deutschlands wurde 1868-79 von Heinrich Ludwig Herrmann unter Beteiligung von Paul Emanuel Spieker und Hesse für circa 1.400 Gefangene erbaut. Die Baukosten beliefen sich auf etwa 6,3 Millionen Mark. Bei der Bildung von Groß-Berlin im Jahr 1920 wurde das vorher zum Gutsbezirk Plötzensee im Kreis Niederbarnim gehörige Areal dem damaligen Bezirk Charlottenburg zugeordnet.
In der Zeit des Nationalsozialismus wurden im Strafgefängnis Plötzensee nicht nur Freiheitsstrafen vollzogen, sondern es diente (zusammen mit der Strafanstalt Brandenburg-Görden) auch als „zentrale Hinrichtungsstätte für den Vollstreckungsbezirk IV“. Besonders die vom Berliner Kammergericht und dem 1934 errichteten Volksgerichtshof zum Tode Verurteilten wurden hier hingerichtet; verantwortlicher Scharfrichter war von 1942 bis 1945 Wilhelm Röttger.

Von 1933 – 1945 war das Strafgefängnis ein Untersuchungsgefängnis für politische Gefangene und eine der zentralen Hinrichtungsstätten der NS-Justiz. Im NS-Zuchthaus Plötzensee wurden etwa 2800 Männer, Frauen und Jugendliche durch Fallbeil oder Strick hingerichtet. Darunter auch zahlreiche Widerstandskämpfer.

Nach einem Todesurteil des „Volksgerichtshofs“ oder eines anderen Gerichts der zivilen Justiz, konnten Gefangene ein Gnadengesuch stellen. Die Entscheidung darüber lag bei Adolf Hitler, der sie im September 1939 dem Reichsjustizminister übertrug. Lehnte dieser das Gnadengesuch ab, ordnete das Reichsjustizministerium die Hinrichtung an. Die Staatsanwaltschaft legte den Vollstreckungstermin fest, informierte das Gefängnis, sowie den Rechtsanwalt des Verurteilten und beauftragte den Scharfrichter.
Die zum Tode Verurteilten wurden im großen Zellenbau (Haus III) untergebracht, der direkt an den Hinrichtungsschuppen angrenzte. Am Abend vor der Vollstreckung, später nur einige Stunden davor, informierte ein Staatsanwalt die Todeskandidaten. Die letzten Stunden verbrachten sie gefesselt in besonderen Zellen im Erdgeschoss. Auf Wunsch konnte sie ein Geistlicher betreuen. Dies wurde nicht immer genehmigt.
Der letzte Weg führte über einen kleinen Hof zum Hinrichtungsraum mit dem Fallbeil. In wenigen Sekunden führte der Scharfrichter, dem zwei oder drei Gehilfen zur Seite standen, die Enthauptung oder Erhängung durch. Der Leichnam wurde dem Anatomischen Institut der Berliner Universität übergeben.
Die Scharfrichter erhielten jährlich 3000 Reichsmark als feste Vergütung und pro Hinrichtung 60, später 65 Reichsmark. Die Angehörigen der Hingerichteten mussten eine „Kostenrechnung“ bezahlen. Die Staatsanwaltschaft forderte für jeden Hafttag in Plötzensee 1,50 Reichsmark, für die Hinrichtung 300 Reichsmark und für das Porto zur Übersendung der „Kostenrechnung“ 12 Pfennige.
Zu den Opfern der nationalsozialistischen Unrechtsjustiz in Plötzensee gehörten auch viele Menschen, die wegen geringfügiger Delikte vor allem nach 1939 unverhältnismäßig hart mit dem Tode bestraft wurden. Alle Strafverfahren entsprachen nicht mehr rechtsstaatlichen Ansprüchen. Dies galt auch für Todesurteile wegen unpolitischer Verbrechen.
Noch härter war die Rechtsprechung gegen ausländische Verurteilte. Mehr als 650 Hingerichtete kamen aus den 1938/39 von Deutschland besetzten tschechischen Gebieten, mehr als 240 aus Polen. Hierzu gehörten sowohl Angehörige von Widerstandsorganisationen als auch Menschen, die nach Deutschland zur Zwangsarbeit verschleppt worden waren.

Nach Kriegsende bestimmten die Alliierten, dass das Strafgefängnis Plötzensee als Jugendhaftanstalt weitergeführt werden soll. Von Seiten der Alliierten und der Verbände der Opfer des Nationalsozialismus gab es erste Initiativen, die Namen und die Herkunftsländer der Ermordeten zu erfassen. Diese sind zumeist anonym bestattet worden. Ab 1987 diente es als Justizvollzugsanstalt für erwachsene männliche Gefangene. Seit dem 1. Januar 2013 bilden die JVA Plötzensee, die JVA Charlottenburg und das Justizvollzugskrankenhaus Berlin, die gemeinsame Behörde Justizvollzugsanstalt Plötzensee.

Für die Angehörigen ist die ehemalige Hinrichtungsstätte Plötzensee ein wichtiger Ort der individuellen Trauer und des gemeinsamen Gedenkens.

Wir machen uns nun auf den Weg zu unserer letzten Station: der Gedenkstätte Plötzensee. Wir laufen vor bis zum Saatwinkler Damm und biegen am Hüttigweg links ab und treffen uns dann an der Gedenkstätte.

Gedenkstätte Plötzensee

10. Gedenkstätte Plötzensee: Hüttigpfad 16

Wie wir an der letzten Station bereits erfahren haben, befand sich im Strafgefängnis Plötzensee eine der zentralen Hinrichtungsstätten der NS-Diktatur. Von 1933 bis 1945 wurden hier nach heutigem Wissen mehr als 2800 Frauen und Männer ermordet – viele wegen Widerstands gegen den Nationalsozialismus. Die Opfer stammten aus 20 Nationen; etwa die Hälfte von ihnen war nicht deutscher Nationalität.

Der ehemalige Hinrichtungsraum bildet als Ort des Stillen Gedenkens das Zentrum der Gedenkstätte. Die benachbarte Dauerausstellung erinnert an alle hier ermordeten Opfer der nationalsozialistischen Unrechtsjustiz. Die Gedenkstätte Plötzensee ist heute ein europäischer Ort der Erinnerung. Seit 1987 steht die Gedenkstätte unter Denkmalschutz.

Im Mai 1956 beschloss der Berliner Senat, eine Steinurne mit Erde von anderen Orten der NS-Verbrechen in Plötzensee aufzustellen. Die Gestaltung übernahmt der Bildhauer Karl Wencke (1911-1971). Der Bronzedeckel wurde von Hans Joachim Ihle (1919-1997) erarbeitet und trägt die Inschrift „Den Opfern der Konzentrations­lager in ehrendem Andenken gewidmet”. Eine bronzene Bodenplatte vor der Urne informiert darüber, dass die Urne „Erde aus deutschen Konzentrationslagern” enthält.

Der Heuweg, eine Nebenstraße, die als Zufahrt zum Gedenkort Plötzensee Bedeutung erhielt, wurde 1950 nach dem Charlottenburger Kommunisten Richard Hüttig benannt. Hüttig war 1934 der erste politische Häftling, der in Plötzensee hingerichtet wurde. Er stammte aus einer Landarbeiterfamilie, siedelte 1928 nach Berlin über, wurde Mitglied der “Roten Jungfront” und später der Kommunistische Partei Deutschlands (KPD). Seit 1930 war er Leiter der Häuserschutzstaffel seines Charlottenburger Wohngebiets im Klausenerplatz-Kiez, die wegen wiederholter Überfälle von Sturmabteilungs-Trupps (SA) zur Abwehr gegründet worden war. Er wurde beschuldigt, am 19. Februar 1933 bei einem Zusammenstoß mit SA und SS den SS-Scharführer Kurt von Ahé erschossen zu haben. Obwohl es für diese Anschuldigungen keine Beweise gab, wurde er bei einer Razzia am 14. September 1933 verhaftet und im KZ Columbia-Haus schwer misshandelt. Am 14. Juni 1934 erfolgte die Hinrichtung mit dem Handbeil in Plötzensee. An dem Haus in der Seelingstraße 21 erinnert eine Gedenktafel an ihn.

Ich danke Ihnen für Ihr Interesse. Der nächste Kiezspaziergang ist eine Kiezfahrradtour am Samstag, 10. mit Bezirksbürgermeisterin Kirstin Bauch, die mit Ihnen durch den Grunewald bis zum Ökowerk fahren will. Treffpunkt ist um 14 Uhr am Georg-Kolbe-Museum. Bitte kommen Sie nur MIT einem Fahrrad!

Weitere Eindrücke des Kiezspaziergangs

  • Stadträtin Schmitt-Schmelz vor der Gedenkkirche Maria Regina Martyrum

    Stadträtin Schmitt-Schmelz vor der Gedenkkirche Maria Regina Martyrum

  • Schwester Mirijam in der Gedenkkirche Maria Regina Martyrum

    Schwester Mirijam in der Gedenkkirche Maria Regina Martyrum

  • Pfarrer Maillard des evengelischen Gemeindezentrums Plötzensee

    Pfarrer Maillard des evengelischen Gemeindezentrums Plötzensee

  • Gedenkstätte Plötzensee

    Gedenkstätte Plötzensee

  • Frau Schmitt-Schmelz in der Gedenkstätte Plötzensee

    Frau Schmitt-Schmelz in der Gedenkstätte Plötzensee